Macht Gemeinde

24. Nov 2008

Die Zukunft der Kirche als Gemeinschaft mit Lebensbezug, die Zugehörigkeit und Heimat vermitteln kann, stand im Mittelpunkt der "Fachtagung Weltkirche", die am 21. und 22. November im Exerzitien- und Bildungshaus St. Gabriel in Mödling stattfand

Die Kirche wächst in den Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas. Das Modell der Basisgemeinden ist dafür das Mittel und das Aushängeschild. Dort können die Menschen ihren Glauben mit dem Alltagsleben verbinden, Zugehörigkeit und Heimat finden.

 

Die Erfahrungen der Basisgemeinden standen im Mittelpunkt der "Fachtagung Weltkirche", die in St. Gabriel in Mödling stattfand. Etwa 40 TeilnehmerInnen versuchten, Einsichten aus der Pastoraltheologie und den weltweiten Gemeindeerfahrungen für die österreichische Situation umzusetzen.

 

Diese Fachtagung wurde von der Superiorenkonferenz der männlichen Ordensgemeinschaften Österreichs zusammen mit der KOO (Koordinierungsstelle der Bischofskonferenz für internationale Entwicklung und Mission), Jugend Eine Welt, den Steyler Missionaren und dem Evangelischen Arbeitskreis für Weltmission organisiert.

 

In seinem Einleitungsreferat am ersten Abend beschrieb der Innsbrucker Pastoraltheologe Prof. Franz Weber in einer weltweiten Umschau die Aufbrüche der christlichen Gemeinden. Als Frucht des Vatikanischen Konzils zeigt sich in Lateinamerika, Afrika und Asien eine lebendige Kirche. Aus ihrem Eingehen auf die aktuellen Probleme ihrer Gesellschaft, dem Lesen der Zeichen der Zeit, entstanden dort neue Formen soziologischer Gemeindestrukturen, die eine pluriforme Weltkirche darstellen. In diesen Gemeinden wird die Kirche, was sie eigentlich ist: Katholische (das heißt: umfassende) Kirche. Diese Entwicklung fand in den Basisgemeinden statt, in denen Papst Johannes Paul II. Zeichen der Hoffnung für die Kirche sah.

In Lateinamerika zeichnen sich diese Gemeinden durch ihre Option für die Armen und Machtlosen aus. Im Zentrum steht der verändernde Umgang mit dem Evangelium, das die Menschen in kleinen Gemeinden lesen und daraus ihren Alltag anders gestalten. Die Basisgemeinden Lateinamerikas konnten auf eine lange Tradition bauen, in der die "Laien" in Bruderschaften und der Pflege der "Volksreligion" die Verantwortung für das Glaubensleben über hatten.

Die Entwicklungen in Afrika wurden lange nicht wahrgenommen. Auch dort war das Wort Gottes verantwortlich für die Integration von Kultur und christlichem Leben. Die kleinen "lebendigen christlichen Gemeinden" ermöglichten diese Integration, die den Glauben mit dem Alltagsleben verbindet.

In Asien entwickelten sich die christlichen Gemeinden im Kontext der kleinen Minderheiten aus der sozialen Schwachheit heraus. Der entscheidende Beitrag liegt nach Ansicht Webers darin, dass sich die Menschen als "basic human communities" (menschliche Basisgemeinden) zusammenschlossen und von ihren verschiedenen Religionen gemeinsam die Veränderung ihrer Situation angingen. Dieser ursprünglich interreligiöse Zugang führte zu einer asiatischen Form von Gemeindestruktur, die mehr die Gemeinschaft als die Institution betont.

Das Beispiel der Gemeinden in anderen Kontinenten stellt für die österreichische Kirche eine Herausforderung und eine gute Nachricht dar. Für Prof. Weber ergeben sich fünf Anfragen:

  1. Wie missionarisch sind unsere Gemeinden (denn die Machtlosigkeit dieser kleinen Gemeinden in den anderen Kontinenten wirkt nicht bedrohlich, sondern einladend)?
  2. Wo können Menschen eine persönliche Glaubenserfahrung machen (das ist in kleinen Gemeinschaften möglich, wahrscheinlich nicht in den großen Pastoralräumen, die in Österreich geplant werden)?
  3. Wie steht es um das Vertrauen in die Glaubenskompetenz der Getauften (es geht nicht um "Laien", sondern alle Getauften und Gefirmten sind Volk Gottes und können daher für ihre Gemeinden Verantwortung tragen)?
  4. Wie solidarisch sind unsere Gemeinden (damit ist die Mitverantwortung der Christen für die Gesellschaftsveränderung angesprochen)?
  5. Wie offen sind die Gemeinden für die Religion und Kultur der anderen und für den interreligiösen Dialog (denn unsere neue Situation von religiösem und politischem Pluralismus macht Angst und führt zu Optionen, auch in der Politik, die leicht zu Gewalt führen)?

Weber schloss seinen Vortrag mit einem hoffnungsgeladenen Ausblick ab: Die Gemeinden der Kirchen im Süden sind ein Hoffnungszeichen, weil sie trotz ihrer Machtlosigkeit mit dem Leben in Kontakt stehen und von daher ihre Umwelt verändern. Die Veränderung wird möglich aus der Begegnung mit dem Wort Gottes. In der intensiven Beschäftigung mit dem Wort Gottes sieht Prof. Weber Chancen auch für die Gemeinden in Österreich.

 

Die "Fachtagung Weltkirche" wurde am Samstag mit Erfahrungsberichten aus Gemeinden in Afrika, Lateinamerika und Asien fortgesetzt. Als Ergänzungen wurden die Planungen der Diözesen Innsbruck und Linz vorgestellt, die mit Pastoralräumen neue Gemeindemodelle in die Praxis umsetzen wollen.

 

Am Ende der Fachtagung stellte Prof. Weber fest, dass das Modell der Kirche als Gemeinschaft (communio-Theologie) Hoffnung macht. Es geht dabei um vielfältige Vernetzungen. In der konkreten Situation der Kirche in Österreich braucht es Freimütigkeit und Freiheit, die eigene gesellschaftliche Machtlosigkeit anzunehmen und als kleine Gruppe die Anwaltschaft für eine dynamische Katholizität der Kirche wahrzunehmen. Die Gemeinden sollen sich dort organisieren, wo Not herrscht und Antworten gefragt sind. Dort entstehen auch Leitungsfähigkeiten. Für diese Funktionen braucht es Ausbildung, Begleitung und Vertrauen. Die Grundlage dafür bildet die Gotteserfahrung, die gemeinsame Schriftlesung und die Beziehung des eigenen Glaubens zum Alltag. Diese Perspektive ermöglicht es auch zu verstehen, dass Gemeinde und kirchliche Gemeinschaft letztlich nicht machbar sind, sondern von Gott geschenkt wird. Durch das Wort Gottes und den Geist Gottes entstehen Gemeinden. Damit wird auch klar, dass Kirche immer ein Fragment bleibt und nicht vollkommen organisiert werden kann. Die Kirche unterliegt dem Gesetz des Weizenkorns: Damit das Leben weitergeht, muss und darf etwas sterben. Dahinter liegt das Vertrauen auf das Evangelium, das alles neu macht.

 

Die "Fachtagung Weltkirche" endete mit einer Sendungsfeier, die die kleine Gemeinschaft als Hoffnungsträger für die Gesellschaft in ihren Mittelpunkt stellte. Die Christen wurden darin als mitfühlende und solidarische Nachbarn angesprochen, die im Dienst an den Bedrängten und Armen die Hoffnung aufleben lassen und vom Evangelium inspiriert an der Veränderung der Gesellschaft mitarbeiten.

P. Christian Tauchner SVD, Elke Grafl