Honig auf eitrige Wunden

07. Nov 2005

Im Kongo kämpft der Steyler Missionar Josef Wienke SVD gegen Krankheit und Elend - ideenreich und zuweilen mit unkonventionellen Mitteln.

"Reich mir mal eben die Schere", sagt Pater Josef Wienke SVD zu einem Helfer. Wienke ist Steyler Missionar und seit fast vierzig Jahren im Kongo. Gerade hat der Pater den Verband eines jungen Mannes gewechselt und die Wunden vorsichtig mit Honig eingepinselt. Der Mann heißt Joey. Joey ist 43 Jahre alt und leidet an Krebs. Sein Körper ist übersät mit eitrigen Geschwüren. Metastasen haben alle wichtigen Organe befallen und drücken durch die dünne Haut nach außen. Der Pater geht in den Vorraum der kleinen Hütte, um sich in einer blauen Plastikschüssel die Hände zu waschen. "Honig hat eine wunderbare Heilkraft", sagt Wienke. Im Krieg haben Soldaten damit ihre Blessuren behandelt, wenn sie nichts anderes hatten. 

Der Todkranke wirkt apathisch. Seine Wangen sind eingefallen. Unter der fahlen Haut werden die Konturen des Schädels sichtbar. Es ist so, als würde sich der Tod von innen nach außen durch Joeys Körper hindurch fressen. Der Afrikaner hat starke Schmerzen. Er windet sich und hofft auf Erlösung von seinen Qualen. Der Honig bewirkt in diesem Stadium wenigstens noch Linderung, von Heilung kann keine Rede mehr sein. Pater Wienke kennt noch andere alternative Heilmethoden. Mit Apfelsaft etwa hat er schon erfolgreich Typhus behandelt. "Der hohe Säuregehalt treibt die Erreger aus dem Körper und senkt das Fieber", sagt er.


Medizin nur gegen Bares

Wir sind in Bandundu. Die 120.000 Einwohnerstadt liegt rund 300 Kilometer nordöstlich der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa. In einer unscheinbaren Hütte siecht Joey vor sich hin, den nahenden Tod vor Augen. Draußen geht das Leben indes seinen gewohnten Gang. Spielende Kinder, meckernde Ziegen und lachende Frauen, die Maniok stampfen und nichts von dem Drama mitbekommen, das sich hinter dem staubigen Wellblechverschlag abspielt. Leben und Leiden scheinen in Bandundu nahe beieinander zu liegen. "In der kommenden Woche wird er von seinem Leiden erlöst sein", schätzt Pater Wienke. Noch heute möchte er Joey die Krankensalbung spenden. Das nächstgelegene Krankenhaus ist in der Hauptstadt Kinshasa. Den Transport dorthin würde Joey in seinem jetzigen Zustand ohnehin nicht mehr schaffen. "Es ist besser, ihn hier einigermaßen in Würde sterben zu lassen, als ihm tagelange Strapazen über unasphaltierte Pisten und löcherübersäte Straßen zuzumuten", sagt Wienke. Auch sei überhaupt nicht garantiert, dass sich in Kinshasa tatsächlich ein Arzt um ihn kümmern würde. "Ohne Vorauszahlung geht im Kongo gar nichts", erklärt Wienke. In den Privatkliniken der Hauptstadt sowieso nicht und selbst in den herunter gekommenen Staatskliniken halten die "Götter in Weiß" gerne die Hand auf, auch wenn es nur darum geht, einem Sterbenden Schmerz stillende Mittel zu verabreichen. Geld regiert die Welt, auch hier.


Folgen des Bürgerkriegs

Wienke ist Realist, er kennt die Situation im Kongo genau. In seiner Zeit als Seelsorger und Missionar hat er schon viele Menschen sterben sehen. Er kennt Geschichten von Elend und Trauer, von verwaisten Kindern und verlassenen Alten. Menschen, um die sich keiner kümmert, weil die eigenen Kinder selbst kaum über die Runden kommen. Manchmal wird sich im Kongo und anderen Regionen Afrikas der Alten auf recht unkonventionelle Weise entledigt. "Es ist schon vorgekommen, dass alte Frauen für 'verhext' erklärt wurden, obwohl es sich in Wirklichkeit wohl nur um eine natürliche Altersverwirrtheit gehandelt haben dürfte", erzählt Wienke.
Pater Wienke kennt Joey seit seiner Kindheit. Damals war der Bub in seiner Messdienergruppe. "Mit wachen Augen und einem fröhlichen Lachen" erinnert sich der Missionar. Joey war immer neugierig, wollte immer mehr wissen als die anderen Kinder. Als der Steyler Pater vor vierzig Jahren in den Kongo kam, hieß das Land noch Zaire und wurde von Präsident Sese Seko Mobuto mit eiserner Faust regiert. Mobuto ist inzwischen aus dem Amt gejagt, doch die Armut ist geblieben, mancherorts größer denn je. Und im Norden des Kongo, in der Provinz Ituri gehen die Scharmützel zwischen Regierung und Rebellen munter weiter.

"Besonders stolz war Joey immer, wenn er vor der Messe mit einem gusseisernen Anzünder die großen Kerzen in der Kirche anzünden durfte", erzählt Wienke weiter. Es klingt ein wenig wehmütig. Joey war immer ein guter Christ und ein treuer Katholik obendrein. Als er noch laufen konnte, hat er sich jeden Sonntag fein gemacht und die heilige Messe besucht. Das war ihm wichtig. Doch die harte Arbeit auf dem Feld, die schlechte einseitige Ernährung, verschmutztes Wasser, Dürrekatastrophen und die Wirren des Bürgerkrieges haben seinen Körper ausgezehrt. Vor vier Jahren haben die Ärzte dann den Krebs diagnostiziert. Nun befindet sich der Anfangvierziger im Endstadium der Krankheit. Da seine Familie arm ist, konnte sie die teure Medizin nicht bezahlen. Ganz zu schweigen von einem längeren KIinikaufenthalt. Zweimal hat sich Joey mit finanzieller Hilfe der Steyler Missionare einer ambulanten Chemotherapie unterziehen können. Für eine lebenserhaltende Operation aber fehlte das Geld "Die Menschen leben hier am Existenzminimum", sagt Wienke.


Rückständig und arm

Bandundu gehört zur Diözese Kenge. "Hier gibt es weder Industrie noch Goldminen oder Diamantfelder", sagt er. Die Bevölkerung lebt ausschließlich von der Landwirtschaft. Die Anbaumethoden haben sich in den letzten hundert Jahren nicht geändert. Mit Hacke und Buschmesser wird der karge Boden bearbeitet, auch Kinder und schwangere Frauen müssen ran, um das Überleben der Familie sicher zu stellen. "Bei Temperaturen von mehr als 50 Grad im Schatten ist diese Arbeit mörderisch", sagt Wienke. Schon manch einer sei tot in der Gluthitze zusammengebrochen. "Die Familie stand dann ohne Ernährer da", sagt er. Zurzeit plant Wienke eine Seifenfabrik, in der vor allem Behinderte arbeiten sollen. Als Grundstoff für die Seifen dient Öl aus den Kernen von Palmfrüchten, die andernfalls im Abfall landen würden. "Hier gibt es zahlreiche kleine Ölereien, die als Familienbetriebe bewirtschaftet werden", erklärt Wienke. Da fallen viele Kerne an, die der Steyler Pater und seine Leute gut gebrauchen können. " 'Hilfe zur Selbsthilfe', so lautete schon immer unser Steyler Ordensmotto", sagt Wienke. Die Seifen aus Palmöl-Nüssen sind sehr begehrt, und so hofft Wienke, dass sich das Projekt schon bald von alleine trägt. Ein kleines Gebäude für die Seifenfabrikation hat er schon erworben. Nun fehlt noch das Geld für die Maschinen, die das Öl aus den harten Nüssen herauspressen können. Dann kann es losgehen.

Ob Joey den Beginn der Fabrikation erleben wird, ist eher fraglich. Der Steyler Pater ist wieder an sein Sterbelager getreten. Der Afrikaner röchelt und starrt Wienke an, der ihm die Hand reicht. Es fällt Joey sichtlich schwer, selbst die Hand zu heben. So schwach ist er schon. "Er ist ein guter Junge", sagt Pater Wienke. "Schon bald ist er im Paradies." Und es klingt noch nicht einmal traurig.

Benedikt Vallendar