"In meinem Leben gibt es keinen Tag mehr ohne AIDS - und das ist echt positiv"

28. Nov 2006

Ludger Müller SVD engagiert sich seit 14 Jahren für Menschen mit HIV. Seine Aidspatienten zeigen ihm dabei eine ganz neue, positive Sicht auf die Welt. Für ihn ist ein Leben ohne AIDS nicht mehr vorstellbar - trotz allein Leids.

"Als ich das erste Mal in das Krankenzimmer von Eberhardt kam, und ich mich als Krankenhausseelsorger vorstellte, sagte er zu mir ganz direkt: Sie kommen richtig, ich will mit jemand über mein Leben und meine Aids-Erkrankung reden. Und das haben wir dann auch über ein halbes Jahr immer wieder getan bis zum letzten Tag, an dem Eberhard dann gestorben ist."

Seine erste Begegnung mit einem Menschen, der an Aids erkrankt war, machte der Steyler Pater Ludger Müller 1992 in den USA in einer katholischen Pfarrgemeinde. Antonio, ein junger Mexikaner war in die USA gekommen, damit er medizinisch besser behandelt werden konnte. Die katholische Gemeinde hatte ihn aufgenommen und er war gut in das Gemeindeleben integriert. "Antonio war so voller Hoffnung - das hat mich fasziniert und ermutigt. Antonio hat alle Menschen um sich herum ermutigt. Er hat uns gezeigt, dass man trotz Aids ein ausgefülltes Leben führen kann. Er hat sich sehr in der Gemeinde engagiert und viele Gelegenheiten genutzt über die Immunschwächekrankheit aufzuklären - vor allem auch über den verantwortungsvollen, vorurteilsfreien Umgang mit den HIV-infizierten Menschen." 

Geprägt von seiner Erfahrung in den USA trat er die Stelle eines AIDS-Seelsorgers in einem Berliner Krankenhaus an. "Natürlich geht es in den Gesprächen mit den Patienten oftmals um den Tod, aber sehr viel häufiger noch reden wir über das Leben. Den Sinn des Lebens, Glücksmomente, die Intensität des Lebens - der Mensch muss wohl erst den Tod vor Augen haben, um das Wunder des Lebens und seine Einmaligkeit richtig schätzen und bewerten zu können. In den Gesprächen war kein Thema tabu und das war oft eine Befreiung für die Patienten." Pater Müller hat in den sechs Jahren seiner Arbeit im Krankenhaus viel Neues über Menschen, über die Krankheit, über alles was mit Leben zu tun hat gelernt. "Ja, ich habe von den Menschen gelernt. Jeder einzelne meiner Patienten hat mich bereichert.

 

Gottes Bodenpersonal

Ludger Müller glaubt, dass Gott mit allen Themen der Menschen umgehen kann und "warum sollten wir das nicht als Bodenpersonal auch tun können?" Natürlich ist die Arbeit nicht immer leicht. Der Tod eines Patienten geht Ludger Müller immer wieder nah. 

"Meine Aidspatienten haben alle ein Gesicht und einen Namen. Rose und Diana, Hans-Ludwig und Anna, Werner und Anita. Meine Aidspatienten haben mir gezeigt, wie wirkliches Leben ist." Das Besondere: Müller betreut nicht nur deutsche Aidspatienten. "Viele meiner Patienten stammen aus Afrika, wo mit dem Thema Aids noch einmal ganz anders umgegangen wird als hier. Die Stigmatisierung ist noch sehr viel stärker ausgeprägt und oftmals werden Aidskranke mit Hexerei in Verbindung gebracht. Da muss man sich auf ganz andere Ansichten und Einstellungen einlassen."

Doch nicht nur die Arbeit mit den Aidspatienten selbst, sondern auch die Aufklärung über den Umgang mit ihnen gehört für Ludger Müller mit zu seiner Arbeit. "Ich halte regelmäßig Vorträge über meine Arbeit in Schulen, im Radio, in Pfarrgemeinden. Besonders die Jugendlichen haben großes Interesse und sind oftmals erstaunt, dass ich nicht nur über das Leid, sondern vor allem über das Glück zu leben erzählen kann. Über Hoffnung, Liebe und Freundschaft."

 

Bündnis gegen Aids

Auch innerhalb der Ordensgemeinschaft der Steyler Missionare ist Ludger Müller für das Bündnis gegen Aids zuständig. "Ich habe vor einiger Zeit unseren Novizen in Berlin von meiner Arbeit berichtet. Bei diesem Gespräch wurde deutlich, dass das Thema Aids sehr komplex ist und alle Lebenswirklichkeiten des Menschen betrifft. Ist der Körper krank, dann leidet auch die Seele. Missionare sind Seelsorger und deswegen ist Aids ein Thema. Der Missionar der Gegenwart muss sich diesen Herausforderung stellen, um gemeinsam nach Wegen zu suchen, damit wir lernen mit dieser Krankheit zu leben."

 

Aidsgottesdienst für Hilfsprojekt in Thailand

Am 1. Dezember feiert Ludger Müller mit seiner Gemeinde Sankt Michael Lörzweiler bei Mainz einen AidsGottesdienst. "Meine Gemeinde weiß, wie sehr mir dieses Thema am Herzen liegt. Mit einer leeren Medikamentenschachtel werde ich während des Gottesdienstes deutlich machen, dass nicht alle Menschen auf dieser Erde Zugang zu guten Aidsmedikamenten haben. Es hat etwas mit Gerechtigkeit zu tun: Jeder Mensch hat ein Recht auf Gesundheit." Die Gemeinde engagiert sich seit gut zwei Jahren für ein Hilfsprojekt im fernen Thailand, wo der Steyler Missionar Damian Lunders SVD und zwei seiner Mitbrüder ein Waisenhaus für Aids-Waisen gebaut haben. Dort werden jetzt 30 Kinder betreut. Für den Unterhalt dieser Kinder konnten bis heute fast 5.000 Euro gesammelt werden.

 

Das richtige Leben

"Meine Arbeit," sagt Pater Ludger Müller "ist ein immer wieder aufmerksam machen, ein in Erinnerung rufen - manchmal anstrengend, doch der richtige Weg. Ziel ist es immer wieder über das richtige Leben zu sprechen und das kommt an, und das berührt - auch mich."

Tamara Häußler-Eisenmann