Spielerisch, aber nicht verspielt

30. Nov 2006

Mit einer eigenen Spielfilmproduktion macht der Steyler Missionar Dominic Emmanuel SVD in Indien auf das Thema Aids aufmerksam.

In deutschen Medien wird Indien häufig als Land der Informationstechnologie gepriesen. Das Zentrum der indischen Computerindustrie in Bangalore ist vielen ein Begriff. Doch Indien ist auch das Land, in dem weltweit die meisten Kinospielfilme produziert werden. Noch weit vor den USA und den meisten anderen europäischen Ländern. Spielfilme sind in Indien mehr als nur Unterhaltung und Klamauk. Sie sind ein Genre, mit dem sich viele Menschen identifizieren und das konkrete Botschaften vermittelt. Letzteres hat sich der Steyler Missionar Dominic Emmanuel SVD zueigen gemacht. Zum ersten Mal in der Geschichte Indiens geht mit dem Streifen - "Aisa Kyon Hota Hai?" - was auf Deutsch soviel heißt wie "Warum ist das passiert?" eine Produktion im Auftrag der Katholischen Kirche an den Start. Verantwortlicher Produzent ist Pater Emmanuel. In Indien hat er sich im TV-Geschäft bereits einen Namen gemacht.  

Der gebürtige Inder hat sich, neben seinem Theologie- und Philosophiestudium, schon früh für das Medium Film interessiert und als Regieassistent gearbeitet. In England hat er seine Doktorarbeit im Bereich Kommunikationswissenschaft abgeschlossen. Seit mehreren Jahren moderiert der Steyler Pater in Indien auf JAIN TV einmal wöchentlich die Sendung "Stimme des Christentums". Im Zentrum seines ersten Spielfilms stehen die Differenzen zwischen Kiran, einer allein erziehenden Mutter und ihrem Sohn Raj, gespielt vom indischen Filmnachwuchstalent Aryan Vaid. Raj leidet darunter, in der noch stark von traditionellen Werten geprägten indischen Gesellschaft ein uneheliches Kind zu sein. Er fühlt sich ausgeschlossen und möchte gern so sein wie seine Kameraden, die aus "guten" Verhältnissen stammen. Doch der Traum scheint unerfüllbar. Es müssen Alternativen her, um die vermeintlichen Defizite auszugleichen. Das schnelle Geld, zweifelhafter Ruhm und Erfolg bei den Frauen zu haben, das sind seine Lebensmaximen. Bis er eines Tages durch die Konfrontation mit dem HI-Virus im engsten Bekanntenkreis von der Wirklichkeit eingeholt wird. - "'Aisa Kyon Hota Hai` ist ein Film für die Jugend", sagt Pater Emmanuel. Ein Film, der aufrüttelt, zum Nachdenken anregt über bikulturelle Beziehungen und auf drastische Weise deutlich macht, wohin die Gratwanderung zwischen Moderne und Tradition führen kann. Der Film steht stellvertretend für das Lebensgefühl der indischen Jugend, die in wie kaum einem anderen Land Asiens den Spagat zwischen westlichem Konsumdenken und der Bewahrung familiärer und kultureller Werte bewerkstelligen muss.

 

Zu jedem indischen Film, gehören ausgefeilte Choreografien, Stunteinlagen und kitschig wirkende Kuss- und Liebesszenen. Auf diese Details kann kein Regisseur verzichten, wenn er sein Werk unter die Leute bringen will. Der Film von Pater Emmanuel geht mit diesen Genreeinlagen recht sparsam um. Er macht auf spielerische aber dennoch ernst zu nehmende Weise auf das Thema Aids aufmerksam und versucht für die Problematik zu sensibilisieren. Als Raj bemerkt, dass eine seiner Liebschaften HIV-positiv ist, bricht für ihn eine Welt zusammen. Diese Filmsequenz hat einen ernstem Hintergrund: Denn aller technologischen Fortschritte zum Trotz wird der Subkontinent seit Mitte der neunziger Jahre von einer rasant steigenden HIV-Infektionsrate überrollt. Im Jahre 1986 wurde der erste AIDS-Fall in Indien bekannt. Heute sind mehr als fünf Millionen Menschen auf dem Subkontinent davon betroffen. Tendenz steigend. Die wirtschaftlichen Modernisierungsbemühungen der vergangenen Jahre drohen unter die Räder zu kommen. "Wenn das so weiter geht, drohen uns hier Zustände wie in Südafrika, wo inzwischen ein Drittel der Unter-25-Jährigen HIV-positiv ist", sagt Pater Emmanuel. Denn auch unter den jungen und gut ausgebildeten Bevölkerungsteilen, die das Rückgrat der indischen High-Tech-Industrie bilden, mehren sich die HIV-Fälle.

 

Spielfilm als "Aufklärungsmedium" 

"Das Kino ist unter Indiens Jugendlichen beliebt", sagt Emmanuel. Mehr als anderswo, denn nicht jeder hat zu Hause ein Fernsehgerät stehen. Auch auf dem Land und in kleineren Städten locken Freiluftkinos jedes Wochenende Tausende von Menschen vor die Leinwand. Der Gang ins Kino ist eine beliebte Freizeitbeschäftigung. Botschaften, auch Werbebotschaften verbreiten sich in Indien am ehesten über das Kino. Anders als in Europa und den USA halten sich in indischen Produktionen Sprech- Gesangs- und Tanzeinlagen die Waage. Verpönt sind Liebesszenen, die von der Kritik alsgleich zerrissen werden. Mit westlichen Freiheitsidealen tun sich noch viele Rezensenten schwer, auch wenn Indien gerne als "größte Demokratie der Welt" bezeichnet wird. "Durch das Medium `Film` erreichen wir Jugendliche wirksamer als mit aufwändigen Aufklärungskampagnen in Schulen und Universitäten", ist der Steyler Pater überzeugt. Denn vor allem unter jungen Leuten grassiert das HI-Virus. Auf dem Land und in den Ballungszentren verschwinden trotz der Grenzen zwischen den Kasten, die Gebote von Anstand und Moral und damit auch häufig die Hemmungen, ein ungezügeltes Sexualleben zu führen. Noch bis vor dreißig Jahren war es in Indien üblich, dass Ehen nur innerhalb der Kasten geschlossen wurden. Intime vor- und außereheliche Kontakte außerhalb der Kasten waren verpönt. "Dass ein Mann in Indien mehrere Frauen und Freundinnen hat, ist offiziell zwar ein Tabuthema, wird aber gesellschaftlich kaum geächtet", sagt Pater Emmanuel. Insofern hat sich Indiens Jugend Freiheiten erkämpft, die den Hütern der offiziellen Moral, und als solche verstehen sich viele indische Filmkritiker, zuwiderlaufen.

 

Umdenken hat begonnen  

Erst in jüngster Zeit, als die Medien begonnen haben, offen über das Thema Aids zu berichten und schockierende Bilder über das Krankheitsbild ihr Übriges getan haben, hat auch in Indien ein Umdenken eingesetzt. In den Führungsetagen der Politik wurde längst erkannt, dass in Indien nicht nur Defizite im Gesundheitswesen bestehen, sondern dass in den Köpfen vor allem der älteren Generation noch Barrieren sind, die es zu überwinden gilt. "Viele haben Hemmungen, sich mit dem Thema zu beschäftigen, weil es als `schmutzig` gilt", beklagt Pater Emmanuel. Die Jüngeren, also die Generation der 20 bis 40-Jährigen sieht das weniger eng. Sie wissen, dass Indien nur eine Chance hat, wenn das Problem Aids offensiv angegangen wird und nicht hinter einem Vorhang von Vorurteilen versteckt bleibt. "Wir wollen diese hoffnungsvolle Entwicklung als Christen begleiten und den jungen Menschen Orientierung bei der Lebensplanung geben", sagt der Steyler Missionar. Erste Erfolge sieht er in seinen Gemeinden. "Obwohl Katholiken in Indien eine verhältnismäßig kleine Minderheit bilden, spüre ich, dass die Menschen empfänglich sind für Themen wie Treue und Enthaltsamkeit", sagt Emmanuel. In ihrem persönlichen Umfeld wirken Katholiken als Vorbild, auch für jene, die dem Christentum eher ablehnend gegenüber stehen. Denn Aids wird in Indien immer mehr zu einem schichtenübergreifenden Problem. Als die Krankheit in Indien auftauchte, waren zunächst Junkies und Prostituierte in den großen Hafenstädten davon betroffen. Matrosen aus aller Herren Länder brachten das Virus ins Land. Lebten die Menschen noch bis in die sechziger Jahre in überschaubaren sozialen Gegenden, hat es in den letzten zwanzig Jahre immer mehr junge Menschen in die stetig wachsenden Metropolen von Mumbai, Dehli und Kalkutta gelockt. Angezogen von den Möglichkeiten der indischen Marktwirtschaft und der Aussicht, ein weitgehend freies Leben ohne soziale Kontrolle zu führen. Oft hat dies fatale Folgen. Denn viele der jungen Leute vom Land verfügen nur über eine geringe bis gar keine Schulbildung. Analphabetentum ist im Land der High-Tech-Industrie noch immer weit verbreitet. Wer weder lesen noch schreiben kann, läuft Gefahr in den Moloch der Großstädte als Handlanger und Bettler zu versumpfen. Für dieses "Heer der Ahnungslosen und Gestrandeten", wie Pater Emmanuel sie traurig nennt, blieben häufig nur niedere Arbeiten und die Aussicht, sich mit billigem Hasch, Kokain und gestrecktem Heroin den Alltag zu versüßen. Die Drogen, die aus dem nahen Afghanistan und Pakistan in großen Mengen über die Grenze nach Indien kommen, tragen maßgeblich dazu bei, dass das Elend in den indischen Städten beständig zunimmt.

"Das Thema Aids ist sicherlich komplexer als es in einem zweistündigen Film gezeigt werden kann", sagt Emmanuel. Die Probleme liegen tiefer, darüber ist er sich sehr wohl im Klaren. Der Film "Aisa Kyon Hota Hai?" ist eben auch ein Beziehungsfilm, und die sind nun mal bei allen Menschen unterschiedlich. Zumal dann, wenn sie, wie in Indien, in einem Vielvölkerstaat leben. Auch darüber, was moralisch "richtig" oder falsch ist, herrscht auf dem Subkontinent alles andere als Einigkeit. Muslime, Hindus, Christen und deren zahlreiche Unterabteilungen haben unterschiedliche Vorstellungen. Mit seinem Film will Pater Emmanuel denn auch nicht als "Moralapostel" auftreten, sondern ein Bewusstsein dafür schaffen, dass Sexualität nicht nur Freiheit, sondern vor allem Verantwortung bedeutet.

Benedikt Vallendar