"Man fühlt sich machtlos."

05. Sep 2008

Der Steyler Missionar Chacko Thottumarickal SVD ist Bischof von Jhabua im indischen Bundesstaat Madhya Pradesh - und verfolgt die Gewaltakte gegenüber Christen in Orissa mit Besorgnis.

Bischof Thottumarickal, wie beurteilen Sie die aktuelle Lage in Orissa?

Die Lage in Orissa ist immer noch sehr ernst. Versuche, den Ausschreitungen entgegenzuwirken, waren bislang erfolglos. Viele Menschen haben ihre Häuser verloren, mussten in die Wälder flüchten, wo sie keinen Zugang zu Nahrungsmitteln haben. Viele leben in Angst, angesichts der Brutalität, mit der militante Hindus gegen Christen vorgehen.

Sie selbst leben im indischen Bundesstaat Madhya Pradesh. Wie ist das Verhältnis zwischen Hindus und Christen dort?

Im Januar 2004 hatten wir bei uns eine ähnliche Situation wie aktuell in Orissa. Zu dieser Zeit wurde ein 11-jähriges Mädchen vergewaltigt und ermordet. Ihre Leiche wurde in der Toilette der katholischen Missionsschule gefunden. Die Fundamentalisten nahmen das zum Anlass, alle katholischen Einrichtungen in der Diözese anzugreifen. Unter dem Vorwand, der Polizei bei der Aufklärung des Verbrechens "helfen" zu wollen, gingen sie mit Gewalt gegen Priester, Schwestern und andere Christen vor.

 

Wie haben Sie sich gefühlt, als die Fundamentalisten alles zerstörten, was Sie mühsam aufgebaut hatten?

Man fühlt sich machtlos. Aber wir konnten nicht viel tun. Wir konnten nur die Regierung bitten, dafür Sorge zu tragen, dass so etwas in Zukunft nicht mehr passieren kann. Außerdem baten wir die Behörden um Hilfe beim Wiederaufbau der zerstörten Gebäude.

 

Wo liegt die Ursache für das gespannte Verhältnis zwischen Christen und Hindus in Indien?

Jedermann mit einem gesunden Menschenverstand weiß, dass von uns Christen absolut keine "Gefahr" ausgeht. In Indien machen wir gerade einmal zwei Prozent der Gesellschaft aus, in Orissa oder bei uns in Madhya Pardesh sogar nur 1,5 Prozent der Einwohner. Wir sind also eine sehr, sehr kleine Gemeinschaft, und zwar keine terroristische, sondern eine friedliebende. Wir helfen den Menschen, indem wir humanitäre Hilfe leisten und uns für Bildungsprojekte, Gesundheitsfürsorge, landwirtschaftliche Entwicklung engagieren. Angegriffen werden wir einzig aus politischen Motiven. Um bei den Wahlen erfolgreich sein zu können, brauchen die fundamentalistischen Parteien Indiens einen Gegner, gegen den sie sich verbünden können. Und wir Christen sind "dankbare" Feinde, weil die Fundamentalisten wissen, dass wir uns nicht verteidigen. Und wir sind eine so übersichtliche Minderheit, dass sie uns mühelos bezwingen können.

 

Die fundamentalistischen Hindus beschuldigen Sie, die arme Landbevölkerung unter Zwang zu bekehren?

Das ist eine unhaltbare Anschuldigung. Missionare zwingen niemanden, zum Christentum konvertieren. Weil es schlichtweg unmöglich ist, jemanden durch Einschüchterungen oder Drohungen zum christlichen Glauben zu führen. Eine Konvertierung unter Zwang gibt es im 21. Jahrhundert nicht mehr. Der Wechsel zum Christentum ist eine Herzensangelegenheit. Wir respektieren dabei den freien Willen der Menschen. Und entsprechend sollte in einer Demokratie jeder die Möglichkeit haben, zu einer anderen Religion zu wechseln.

 

Wie lässt sich Ihrer Meinung nach der Gewalt einen Riegel vorschieben?

Wir versuchen, Frieden durch Dialog zu erreichen. Außerdem beten wir, denn wir sind davon überzeugt, dass Gott selbst in Gewalt und Zerstörung bei uns ist. In der Geschichte der Christenheit hat es immer Christenverfolgungen gegeben, in denen viele Menschen ums Leben gekommen sind. Die Geschichte wiederholt sich. Gott allein weiß, was das Beste für uns ist. Nach seinem Leiden und seinem Tod am Kreuz ist Jesus schließlich als Sieger hervorgegangen. Das gibt uns Kraft, die Verfolgungen durchzustehen.

Markus Frädrich., Nina Pertagnol