Von Mexiko ins Armenhaus Europas

26. Okt 2010

Mexiko/ Moldavien - Pater Klaus Kniffki ging nach seinem Studium zunächst für 12 Jahre nach Mexiko, bevor er - nach einem Zwischenstopp in Deutschland - seine Arbeit in der Republik Moldau aufnahm. Dort kämpft er seit 14 Jahren gegen Kälte, Armut und das Erbe des Kommunismus. Steyl Medien, die Filmproduktionsfirma der Steyler Missionare hat Pater Kniffki für eine neue Folge ihrer erfolgreichen „grenzenlos“-Serie dort nun besucht. Der Film wird voraussichtlich im Januar fertig gestellt sein.

Noch ganz genau kann sich Pater Klaus Kniffki an jene jungen Fratres erinnern, die eines Tages an der Tür seines Elternhauses in Biberach klingelten, um der Familie die Zeitschrift "Stadt Gottes" vorzustellen, damals, in den 50ern. "Ich war sofort fasziniert von der Ausstrahlung und den Erzählungen dieser jungen Steyler Missionare", sagt Kniffki. "Ich war elf Jahre alt, gerade am Ende meiner Grundschulzeit angelangt. Uns so wechselte ich - angesteckt von der Begeisterung der Ordensleute - auf die Internatsschule der Steyler nach Blönried." Kaum einer der Missionare auf Heimaturlaub reiste dort wieder ab, ohne einen ausführlichen Lichtbildvortrag zu halten. "So wurde mein erster, kindlicher Eindruck von der Arbeit der Missionare unglaublich verstärkt", erinnert sich Kniffki. "Und recht bald war mir klar: Das will ich auch machen! Die Perspektive, mich ein Leben lang für andere Menschen einzusetzen, hat mir gefallen."  

Kniffki ging aufs Gymnasium in St. Wendel, dann auf die Hochschule in Sankt Augustin. Als Präferenzländer für seinen Einsatz als Missionar gab er Ghana und Mexiko an, als drittes schrieb er "Jedes Land, außer Deutschland" auf den Zettel - Kniffki zog es in die Welt hinaus. Von seinen Wünschen realisierte sich schließlich Mexiko, wo Kniffki die ersten 12 Jahre seines Missionarslebens verbrachte.  

"Physisch gesehen war die Zeit sehr anstrengend", erzählt Kniffki. "Das fremde Klima, die mittelamerikanische Kost und die unglaublichen Distanzen, die ich in Mexiko zurücklegen musste - ich war oft stundenlang zu Fuß oder auf der Ladefläche eines alten Holzfällerlastwagens unterwegs -, haben uns Missionaren einiges an Kondition abverlangt." Die Verhältnisse, in denen der Steyler Missionar arbeitete, waren bescheiden: Pfarrhäuser und Kirchen standen lediglich auf festgestampftem Lehmboden, in vielen Orten gab es noch kein Licht. "Und doch kamen wir in eine Kultur hinein, die bis ins Letzte hinein religiös geprägt war", sagt Kniffki. "Wir haben uns von den Menschen sehr aufgenommen gefühlt und es hat viel Freude gemacht, die Evangelisation der Leute in die Tiefe zu führen."  

In den 80er-Jahren nahm Kniffki an einem Rotationsprogramm teil, dessen Sinn es war, die Erfahrungen von Missionaren aus lateinamerikanischen Ländern nach Europa zu bringen. "Ich ging zunächst nach Steyl und organisierte im dortigen Bildungshaus Glaubenskurse und Exerzitien für Jugendliche", sagt Kniffki. "Nach der Schließung des Bildungshauses zog ich mit mehreren Mitbrüdern in eine Kleinkommunität nach Kamp-Lintfort am Niederrhein, wo ich Pfarrer in einer Bergarbeiterpfarrei wurde." Einen größeren Gegensatz zu seiner bisherigen Arbeit hätte sich der Steyler Missionar kaum vorstellen können. "In Mexiko hatte ich in einem sehr harmonischen, respektvollen, aber auch distanzierten Umfeld gearbeitet", sagt Kniffki. "Die Leute sind mir als Pfarrer sehr vorsichtig begegnet, haben zum Pfarrhaus Abstand gehalten. Am Niederrhein war das plötzlich völlig anders: Die Bergarbeiter gingen ganz direkt und unmittelbar auf mich zu, mit einer Art "freundlichen Vehemenz". Das war eine ganz schöne Umstellung." Kniffki setzte stark auf Hausbesuche. "Auf diese Weise habe ich viele Menschen und ihre Sorgen näher kennengelernt."

Nach fünf Jahren wollte Kniffki eigentlich zurück nach Übersee gehen - bis zu dem Tag, an dem der Anruf aus Rom kam. Ob er sich vorstellen könne, nach Rumänien zu gehen. "Ich hatte den Fall der Mauer in Deutschland live miterlebt, fand es unglaublich spannend, dass die Kirche im Osten plötzlich wieder frei arbeiten konnte", erinnert sich der Steyler Missionar. Rom räumte Kniffki vier Wochen Bedenkzeit ein. Seine Zusage kam jedoch viel schneller.  

Im Januar 1995 ging es in klirrender Kälte über die Karpaten - in ein Land, das dem fernen Mexiko nicht unähnlicher hätte sein können. "Es war wirklich bedrückend, allein, wie die Menschen damals gekleidet waren: Grau in Grau, schwarz in schwarz", sagt Kniffki. "Auch in ihren Gesichtern spiegelten sich Traurigkeit und Pessimismus wider." 1996 wechselte Kniffki an seine heutige Wirkungsstätte, in die benachbarte Republik Moldau. "Hier hatten Atheismus und Kommunismus noch viel tiefere Spuren hinterlassen", sagt er. "Während in Rumänien auch zu kommunistischen Zeiten noch im Geheimen Kirchen gebaut worden waren, hatte in der alten Sowjetunion ein viel raueres Klima geherrscht. Auf Schritt und Tritt spürte ich das Erbe dieses menschenverachtenden Systems, in dem niemand frei denken durfte."  

Die Gemeinde in Stauceni, einem Vorort der Hauptstadt Chisinau, bestand am Anfang lediglich aus vier Familien. Kniffki und seine Mitbrüder brachten katechetische Kurse auf den Weg, stießen auf Menschen, die eine neue geistige Heimat suchten. "Der Kommunismus hat die Menschen vereinzelt und individualisiert", sagt Kniffki. "Die Gemeinde bot ihnen eine neue Zuflucht, eine neue, vertrauensbasierte Form des Miteinanders." 130 Mitglieder zählt die Gemeinde heute.   

Ihren guten Ruf verdanken die Steyler Patres vor Ort aber auch ihrer engagierten Sozialarbeit, mit der sie die Lebensverhältnisse in der wirtschaftlich angeschlagenen Republik Moldau zu verbessern suchten. "Bereits kurz nach meiner Ankunft in Stauceni habe ich realisiert, dass die Kinder nicht bloß aus Spaß in den Obstbäumen entlang der Straße kletterten", erinnert sich der Steyler Missionar. "Sie pflückten das zum Teil noch grüne Obst, um ihren Hunger zu stillen." Die Ordensleute vor Ort richteten eine Suppenküche ein, zunächst für Kinder, später auch für Erwachsene. Eigentlich kostet die warme Mahlzeit 2 Leu – etwa 12 Cent –, doch der Beitrag ist freiwillig, kaum einer zahlt. 1997 entstand ein Kindergarten, der von polnischen Schwestern geleitet wird, ein wenig später baute die Wiener Caritas auf Bitten der Steyler hin ein Obdachlosenheim. "Viele junge Leute wandern aus, weil sie keine Zukunftschancen für sich sehen", erklärt Kniffki. "Die ältere Generation wird einfach zurückgelassen, im schlimmsten Fall sogar auf die Straße gesetzt."  

Der Winter ist die schlimmste Zeit des Jahres in Stauceni. Die Häuser sind schlecht isoliert, die bittere Kälte kriecht in alle Räume, die Heizpreise haben mitteleuropäisches Niveau, während das durchschnittliche Monatseinkommen bei rund 140 Euro liegt. Die Sozialstation der Steyler hat um diese Zeit Hochkonjunktur - Pater Kniffki und seine Helfer sind unermüdlich im Einsatz. Ist das angesichts des trostlosen Umfelds, der klimatischen wie sozialen Kälte nicht manchmal schwierig? "Dafür bin ich ja Missionar", sagt Pater Kniffki und lächelt. "Ich habe meine Wärmequelle im Glauben gefunden. Außerdem motiviert es mich, wenn ich sehe, wie engagiert uns viele Menschen helfen und unsere Überzeugungskraft Früchte trägt. Die Leute spüren, dass wir an ihrer Seite stehen und Hoffnung bringen." Sehnt sich der Steyler Missionar manchmal zurück nach Mexiko? "Wir haben hier in der Republik Moldau miterleben dürfen, wie die Kirche wiederersteht", antwortet Kniffki. "Ich bin gerne hier, weil ich das Gefühl habe, gebraucht zu sein."   

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Das steyl medien, die Filmproduktionsfirma der Steyler Missionare, sich seiner Projekte jetzt angenommen und hat sie in ihrer neuen Folge ihrer "grenzenlos"-Serie vorstellen möchte, freut den Missionar. Für Anton Deutschmann, Direktor von steyl medien, waren die Dreharbeiten sehr anstrengend. "Diese Hoffnungslosigkeit zehrt doch ganz schön an einem. Auch wenn man natürlich immer eine professionelle Distanz zu halten versucht. Die Begegnungen zwischen Pater Kniffki und den Menschen haben mich wirklich sehr beeindruckt. Er ist oft der Einzige, den sie noch haben. Menschen wie Kniffki braucht dieses Land. Vor allem auch, um bewusst zu machen, dass die Abwanderung der jungen, arbeitenden Bevölkerung unbedingt gestoppt werden muss. Dann gäbe es endlich wieder Hoffnung."

Markus Frädrich