Auf der Suche nach Jerusalem

06. Dez 2014

Die herausragende Bedeutung des Mönchtums in der äthiopischen Kirche war Thema des Vortrags von Dr. Brigitte Proksch am 5. Dezember 2014 in der Akademie Völker und Kulturen.

In der Vortragsreihe der Akademie Völker und Kulturen dieses Jahres geht es um das Mönchtum in verschiedenen Religionen und Kirchen. Der Vortrag des 5. Dezember mit dem Titel „Äthiopisches Mönchtum“ beschäftigte sich mit der spezifischen Ausformung des Christentums in der äthiopischen Kirche und oblag der Ostkirchenspezialistin Dr. Brigitte Proksch vom Forum für Weltreligionen in Wien. Sie ist Spezialistin für Ostkirchen und interessiert sich dabei besonders für das äthiopische Christentum  und seine Eigenheiten in Geschichte und Gegenwart.

Brigitte Proksch führte die etwa 50 TeilnehmerInnen des Vortrags kurz in die Geschichte Äthiopiens und seiner Christen ein, die ab dem 4. Jahrhundert im Reich von Axum zu finden sind. Aufgrund der schlechten Quellenlage der Frühzeit sind die Anfänge der Kirche in Äthiopien kaum zugänglich.

Jedenfalls war das Mönchtum von entscheidender Bedeutung für diese Kirche. Seine Anfänge werden auf die sogenannten neun Heiligen im 5. Jahrhundert zurückgeführt, unter ihnen sind besonders Aragwai, seine Mutter Edna, die der Legende nach als Gründerin des ersten Frauenklosters gilt, und Liqanos bedeutend.

Das Mönchtum ist durch radikale Askese, extreme Fastenpraxis, Wunderheilungen und eine hohe politische Bedeutung gekennzeichnet. Eine seiner Blüten erreichte es im 13./14. Jahrhundert unter der salomonischen Dynastie, die sich durch den Rückbezug auf das alte axumitische Königtum in der Tradition des biblischen Königs Salomon und seines Sohnes Menelik zu legitimieren suchte. Das hatte eine Phase der bewussten Judaisierung zur Folge. Elemente des altisraelitischen Judentums wurden in Äthiopien auf diese Weise bewahrt, nicht zuletzt auch die Sakralisierung der Landschaft, die beispielsweise Lalibela – den Ort der monolithischen Felskirchen – als neues Jerusalem interpretierte, spielte eine Rolle. Mönchsleben konnte sowohl im Kloster als auch im dörflichen Verband erfolgen, viele Witwen und ältere Menschen fühlten sich davon angezogen. In der Nähe eines Klosters zu sterben galt als Garantie dafür, ins Paradies zu gelangen, sodass den Klöstern bald auch der Nimbus des Paradiesischen und Göttlichen anhaftete.

In manchen Phasen der Kirchengeschichte gingen Teile der königlichen Familie – oft unfreiwillig – ins Kloster und ihnen wurden großen Besitzungen mitgegeben. Die Klöster erwiesen sich sowohl als scharfe Kritiker der Könige, wie auch als deren Verbündete.

Die Klöster galten lange Zeit als privilegierte Orte der Bildung, wobei diese traditionell im Rezitieren und Auswendiglernen bestand, sowie in der Vermittlung der Mythen und Heiligenlegenden. Zu gewissen Zeiten der Geschichte war die äthiopische Kirche eine Mönchskirche und die Zahl der Mönche im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung sehr hoch. Der Alltag war von der Liturgie geprägt, die mit den notwendigen Vorbereitungen den Tag ausfüllte.

Heute nimmt die Zahl der Mönche auch in Äthiopien rapide ab, nicht zuletzt wegen der Verringerung der bisher extremen Bevölkerungsexplosion. Das Trinity College in Addis Abeba vermittelt erstmals ein theologisches Studium, das internationaler Ordnung entspricht. Erstmals nehmen Mönche und Nonnen auch gezielt größere soziale Aufgaben wahr. Einige Mönche und Nonnen studieren in der westlichen Welt und kehren hochqualifiziert in ihre Klöster zurück, wo sie als Multiplikatoren wirken. Das Frauenkloster Sabata am Stadtrand von Addis Abeba nimmt sich beispielsweise in großem Rahmen der Waisenkinder an.

Äthiopien ist etwa drei Mal so groß wie Deutschland und zählt knapp 100 Millionen Einwohner. Die Hälfte der Bevölkerung sind Muslime, die andere Hälfte Christen, die zu 90% zur äthiopisch-orthodoxen Tewahaedo-Kirche gehören.

Christian Tauchner SVD