„Diese Ehrlichkeit so noch nicht erlebt“

24. Sep 2015

Drei Wochen lang werden die Bischöfe der Welt bei der Familiensynode über Ehe, Familie, Scheidung und Homo-Ehe beraten. Warum er auf neue Antworten in Rom hofft, erklärt einer der Delegierten, Bischof Franz-Josef Bode von Osnabrück, im stadtgottes-Interview.

Bischof Franz-Josef Bode ©Bistum Osnabrück
Bischof Franz-Josef Bode ©Bistum Osnabrück

Die Erwartungen an das Treffen in Rom sind enorm hoch. Überrascht Sie das?
Nein, weil es um Fragen geht, die alle Menschen berühren: Ehe, Familie, Sexualität, Beziehungen, Zusammenleben. Die Lebenswelt der Menschen spielt bei dieser Synode eine große Rolle. Darum geht sie den Leuten so nah.

Im Vorfeld wurden ja umfangreiche Fragebögen verteilt, Familien und Gemeinden haben Wünsche formuliert. Was davon nehmen Sie mit nach Rom?
Viele wünschen sich, dass noch mehr deutlich wird, was das große Plus der christlichen Ehe und Familie ist, welchen Sinn ein solcher Weg hat, was das Plus des Sakramentes ist. Sie möchten aber auch wissen: Was ist, wenn ich den Weg zur Ehe nicht sofort finde oder wenn meine Ehe scheitert? Wie können heute überhaupt Familie und Beruf und die Anforderungen von Außen in Einklang gebracht werden? Dann natürlich die schwierigen Fragen um die, die in einer zweiten, wirklich guten verbindlichen Partnerschaft leben: Werden sie unter bestimmten Bedingungen zu Buße und Kommunion zugelassen? Schließlich: Wie werden Menschen in anderen Lebensformen von der Kirche gesehen?

Erzeugen diese Fragen Druck? Oder sind sie Ermutigung?
Beides. Wir alle, die zur Synode gehen, werden ermutigt: Bringt unsere Anliegen doch bitte vor! Muss denn die Kluft zwischen kirchlicher Lehre und dem, was wir leben, so groß bleiben? Gibt es nicht Brücken? – Viele haben die tiefe Sehnsucht, dass sie ihren Weg in Einklang mit der Kirche gehen können. Sie möchten den Dialog mit der Kirche weiter führen.
Es gibt aber auch den Druck: Wir wollen am Ende klare Aussagen haben! Das Treffen in Rom ist aber kein Konzil, das Beschlüsse fasst. Eine Weltbischofssynode gibt dem Papst Empfehlungen, mit denen er sich im Anschluss befassen will und soll. Mehr als eine Richtung anzugeben und Türen offen zu halten, kann eine solche Synode nicht leisten. Man darf die Empfehlungen aber auch nicht unterschätzen, denn wenn eine so große Versammlung ein Votum abgibt, hat das ein hohes Gewicht.

Gibt es denn jetzt eine neue Offenheit, die vielleicht auch neue Antworten ermöglicht?
Der „angstfreie Raum“ ist auf jeden Fall geschaffen. Das haben die Fragen, die Rom vorab weltweit gestellt hat, gezeigt. Man wollte klare, ehrliche Antworten. Und diese Ehrlichkeit – egal ob in den Gemeinden, in den Universitäten, auch unter den Bischöfen – habe ich in meinen 24 Jahren als Bischof so noch nicht erlebt: dass die Probleme in einer solchen Breite zur Sprache gebracht werden. Das ist ein wichtiger Schritt für uns alle, denn nur so können wir in ein Ringen, in einen Dialog kommen, der uns weiterbringt.

Wiederverheiratete Geschiedene als großes Thema der Synode, während die Gesellschaft bereits über die Homo-Ehe diskutiert. Hinkt die Kirche der gesellschaftlichen Entwicklung hoffnungslos hinterher?
Es ist klar, dass die Kirche immer ein Stück auf diese Fragen, re-agiert‘. Wir müssen ja erst einmal wahrnehmen, was sich in der Gesellschaft tut. Unsere Botschaft ist „radikal“ (von lateinisch: radix ‚Wurzel‘, ‚Ursprung‘) und quer zu vielem, was heute gelebt wird: Vom Willen Christi her ist die Ehe von Mann und Frau unauflöslich und ein Bild der unverbrüchlichen Treue Gottes zum Menschen. Das entspricht auch der Grundsehnsucht der Menschen: Verlässlichkeit, Treue, Halt. Vielleicht haben wir dieses Positive nicht genug deutlich gemacht. Kirchliche Lehre ist zu stark als Gebots- und Verbotssystem verstanden worden und nicht als lebendige Beziehung zu Christus.

Ist denn die Homo-Ehe ein Thema für die Synode?
In der Arbeitsvorlage werden die großen Themen angesprochen: „Das Wesen der Ehe“ und „In welcher Zeitsituation leben wir“. Da kann man das Thema Homosexualität nicht auslassen, weil es in vielen Ländern – nicht in allen – feste Partnerschaften gibt, die sogar eingetragen werden. Darauf muss Kirche reagieren. Aber es wird nicht der erste Punkt der Synode sein. Zunächst einmal geht es um die Ehe von Mann und Frau und die Familie mit Kindern. Danach muss dann auch wahrgenommen werden, welche Werte und Bereicherungen in anderen Formen einer treuen und verantwortlichen Beziehung enthalten sind. Für mich ist Ehe und Familie mit einer eingetragenen Partnerschaft nicht gleichzusetzen, wobei ich aber die Werte und die Rechte, die in einer verlässlichen Partnerschaft gründen, wertgeschätzt sehen möchte.

Bischof Bode ©Bistum Osnabrück
Bischof Bode ©Bistum Osnabrück

Wird das ein Streitpunkt?
Ich weiß nicht, wie weit wir bei diesem Thema kommen. Wir werden Ehe und Familie als Ganzes, aber auch differenziert anschauen. Ob es für wiederverheiratete Geschiedene eine Zulassung zu den Sakramenten der Buße und der Eucharistie geben kann, ist dann eine weltweit gültige und theologische Frage. Homosexualität und gleichgeschlechtliche Partnerschaften werden in verschiedenen Kulturen unterschiedlich gesehen. Da wird die Synode wohl bei allgemeineren Formulierungen bleiben.


Die Weltbischofssynode sucht Antworten zu Fragen von Ehe und Familie, die für die gesamte Weltkirche gelten sollen. Geht das überhaupt, wo doch die Situation der Familien in Afrika so anders ist als in Lateinamerika oder in Europa?
Je näher man am Evangelium ist, je mehr man aus der Beziehung zum dreifaltigen Gott heraus spricht, desto mehr wird die Antwort auch überkulturell sein können. Das war und ist ja das Besondere am Christentum, dass es sich im Kern über Sprachgrenzen und Kulturschranken hinweggesetzt hat. Sonst brauchten wir nicht zu sagen: Die Kirche soll bis an die Grenzen der Erde gehen. Es mag in Einzelfragen ortskirchliche Antworten geben, aber hier sprechen wir von der biblischen Botschaft, vom Evangelium von Ehe und Familie, vom sakramentalen Abbild der Liebe Gottes zu den Menschen. Und das ist in Lateinamerika nicht anders als in Europa.


Sie reden über Ehe und Familie, über Partnerschaften – aber viele wollen sich doch überhaupt nicht mehr binden...
Ich glaube nicht, dass Menschen in völliger Unverbindlichkeit und Gleichgültigkeit leben wollen. Die Sehnsucht nach Bindung, Treue und Zugehörigkeit ist sogar groß, wächst vielfach noch angesichts unseres überdrehten Individualismus, der ja auch zu einer Einsamkeit führt. Wir alle sind davon betroffen, wir alle leben in einer Welt voller Angebote, in einem Pluralismus, der einem eine Entscheidung, ein festes Bleiben-bei schwer macht. Das ist ein großes Problem. Der Mensch kann in einer Situation, in der er so viele Angebote hat, die Orientierung verlieren. Dadurch verliert er auch Bindung, obwohl er sie so sehr sucht. Wir als Kirche können einen positiven Weg anbieten, mit den Erfahrungen von Suchen, Finden und Nicht-Gelingen umzugehen, können dieser Suchbewegung von Menschen eine Orientierung geben, eine Begleitung, eine Entscheidungshilfe. Darum geht es bei der Synode letztlich noch um mehr als um Ehe und Familie. Es geht um die Frage: Wie können wir unsere Botschaft in die heutigen Lebenswirklichkeiten übersetzen? Das Zweite Vatikanische Konzil nennt es: Die Zeichen der Zeit im Lichte des Evangeliums deuten. Das ist an der Frage von Ehe und Familie besonders brisant. Wenn es uns in guter Weise gelingt, da zu Antworten zu kommen, hat das Folgen für viele weitere Bereiche.


Kann die Synode auch scheitern?
Im Sinne, dass alles auseinanderbricht? Das denke ich nicht. Alle sind doch sehr bemüht, im Dialog zu bleiben und einen Weg nach vorn zu gehen, der allerdings auch sehr dornig sein kann. Entscheidend ist die Rolle des Papstes, wie er das Ganze in sein nachsynodales Schreiben für die Kirche übersetzt. Man kann erwarten, dass der Papst mit den Ergebnissen in einer großen Eigenständigkeit umgeht. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass alles, was jetzt weltweit von vielen Seiten bedacht wird, zu einer Schlussaussage führt, die völlig identisch ist mit dem, was bisher gesagt wurde.


Also liegt in diesem Treffen eine große Chance?
Ja! Das begann schon damit, wie der Papst das Thema angegangen ist: mit einer Frage in die Welt hinein. Die Erwartungen, die jetzt hochgekommen sind, sind nicht von den Bischöfen, sondern von Rom aus geweckt worden. Und es kamen Antworten, die nicht leicht zu verkraften sind, weil sie die ganze Kluft zwischen Leben und Lehre darstellen. Aber wenn man eine solche Kluft bewusst wahrnimmt und ausspricht, wo die Punkte liegen, die die Menschen so schwer akzeptieren können, dann kann man damit umgehen. Es wird kein Dialog des sanften Miteinanders sein. Der Papst selbst hat den Vergleich zum Apostelkonzil gezogen, bei dem die Ur-Kirche vor einer zentralen Lebensfrage stand: Wie ist das mit dem Verhältnis zwischen Juden und Heiden bei der Aufnahme in die Kirche? Es war eine heftige Auseinandersetzung, die aber zu einer Entscheidung geführt hat, nicht zu einem Kompromiss. Jetzt stehen wir auch vor Entscheidungen, die die Zukunft der Kirche bestimmen werden.

Vom 4. bis 25. Oktober tagt in Rom die XIV. Ordentlichen Generalversammlung der Bischofssynode unter dem Thema „Die Berufung und Sendung der Familie in Kirche und Welt von heute“. Jede Bischofskonferenz wird je nach Größe durch einen bis vier gewählte Vertreter repräsentiert. Für die Schweiz wird Jean-Marie Lovey, Bischof von Sitten, teilnehmen. Die Deutsche Bischofskonferenz wird vertreten durch ihren Vorsitzenden Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof von München, sowie durch Heiner Koch, designierter Erzbischof von Berlin und Vorsitzender des Kommission für Ehe und Familie, und Franz-Josef Bode, Bischof von Osnabrück. Der 64-jährige Bode ist Vorsitzender der Pastoralkommission der Deutschen Bischofskonferenz, davor leitete er 14 Jahre lang die Jugendkommission.

Christian Brunner