4. Adventssonntag (A)

Predigtimpuls

Gott ist unbegreiflich

1. Lesung: Jes 7,10-14
2. Lesung: Röm 1,1-7
Evangelium:  Mt 1,18-24

Wenn ich mich recht entsinne, habe ich die Geschichte bei Carlo Carretto gelesen. Irgendwo in Nordafrika kam er mit einem einheimischen Freund zu einer Beduinenfamilie. Dort war alles in froher Erregung: In Kürze sollte die Tochter heiraten. Immer wieder brachten die stolzen Eltern und Geschwister das Gespräch auf dieses hübsche Mädchen und die bevorstehende Hochzeit. Monate später kam der Autor wieder mit dem einheimischen Freund zu der Familie, und wieder wurden sie freundlich aufgenommen. Was aber der Autor nicht begreifen konnte: Kein Wort mehr von der Tochter; es war, als hätte es sie nie gegeben. Der Freund wollte nach dem Besuch auch nicht recht mit der Sprache heraus,
doch schließlich erklärte er: In der Hochzeitsnacht habe der Bräutigam festgestellt, dass die Braut nicht mehr Jungfrau war, daraufhin habe die eigene Familie sie umgebracht. Der Autor schreibt, da habe er begriffen, in welcher Situation Maria sich befand, als sie vom Heiligen Geist empfangen hatte.

Josefs Entscheidung
Von dieser Situation schreibt im heutigen Evangelium auch Matthäus. Allerdings richtet er sein Augenmerk auf Josef und erzählt sehr zurückhaltend von seiner Reaktion. „Während er noch darüber nachdachte“: Man spürt die Not und das Ringen Josefs. Eigentlich war klar, was er hätte tun sollen: Maria wegen Ehebruchs anklagen. Nach dem Gesetz stand auf Ehebruch die Todesstrafe durch Steinigung, es sei denn, die Angeklagte konnte überzeugend darlegen, dass sie außerhalb der Ortschaft vergewaltigt worden war, so dass niemand ihre Hilferufe gehört hatte.
Warum zögert Josef, diesen Weg zu gehen? Matthäus schreibt: weil Josef „gerecht war und sie nicht bloßstellen wollte“. Josef war gerecht, das heißt in der Heiligen Schrift: Er lebte getreu und überzeugt seinen Glauben nach dem Gesetz Gottes. Wenn er trotzdem Maria nicht dem Gericht auslieferte, sondern sich in aller Stille von ihr trennen wollte, dann wird deutlich, dass er das Gesetz barmherzig auslegte. Als zweiten Grund nennt Matthäus, dass Josef Maria nicht bloßstellen wollte. Das dürfen wir als Zeichen nehmen, dass er Maria wirklich liebte und ihr keinen Ehebruch zutraute. Doch ist deutlich: Auch nachdem Josef seinen Entschluss gefasst hatte, blieb eine Unsicherheit, ein Tasten und Suchen – bis Gott ihm in einem Traum eine Erklärung gab und einen anderen Weg wies. Aber lässt nicht auch die Erklärung noch viele Fragen offen?

Gottes Unbegreiflichkeit
Josef und Maria in einer ganz schwierigen und für Maria lebensgefährlichen Situation. Gott hat sie nach dem Evangelium nicht nur zugelassen, nein, er hat sie verursacht! Warum? Zweifellos hätte er einen Weg wählen können, auf dem diese Not von vorneherein vermieden worden wäre. Aber hier sind wir bei einer Erfahrung, die auch wir doch immer wieder machen: Gott handelt nicht nach unseren Vorstellungen; er richtet sich nicht nach unserem „gesunden Menschenverstand“. Wir sind immer wieder versucht, von Gott zu erwarten, dass er so handle, dass wir es verstehen – und wie wir es an seiner Stelle täten. Aber immer wieder handelt Gott gerade nicht so. Wie viele Geschichten im Alten wie im Neuen Testament bezeugen das, von Abraham bis hin zu Jesus und zur jungen Kirche. Denken Sie einmal nach, wie oft Gott auch Sie enttäuscht hat: Wenn vielleicht ein mit
Idealismus und Selbstlosigkeit begonnenes Werk völlig daneben ging und statt Segen Schaden stiftete. Wenn ein Unfall, eine Krankheit oder ein plötzlicher Tod Lebenspläne und Lebenshoffnungen zerstörte... Vielleicht fühlten Sie sich aber manchmal auch von Gott freudig überrascht.
Könnten wir Gott und sein Handeln verstehen – Gott wäre kaum größer als wir selbst, er wäre zu klein, um Gott zu sein. George Bernard Shaw hat schon recht, wenn er sagt, an einen Gott, den er verstünde, könnte er nicht glauben. Stimmen wir dem zu, oder beharren wir darauf, Gott verstehen zu müssen, um an ihn zu glauben?

Gott passend machen?
Ein Weg, das zu erreichen ist: alles leugnen, was wir nicht begreifen. Aber nehmen wir dann Gott noch ernst? Im heutigen Evangelium sagt uns Matthäus, dass „Maria ein Kind erwartete – durch das Wirken des Heiligen Geistes“ und eben nicht als Folge einer normalen sexuellen Vereinigung. In völlig anderer Weise und wohl auf andere Quellen zurückgreifend, erzählt Lukas dasselbe, wobei bei ihm Maria im Mittelpunkt steht, nicht Josef wie im heutigen Evangelium: Gott schickt den Engel Gabriel zu Maria, um ihr zu verkünden, sie werde schwanger werden und einem Kind das Leben schenken, das Sohn Gottes genannt werde. Schon die Darstellungen in den Evangelien machen deutlich: Das hier hat nichts zu tun mit
griechischen Mythen, in denen lüsterne Götter hinter schönen Frauen her sind und sie verführen oder vergewaltigen.

Aber ist das denn möglich, was Matthäus zusammen mit Lukas behauptet, dass eine Frau ohne Zutun des Mannes schwanger wird? Gibt es eine jungfräuliche Empfängnis? Wir haben unsere Schwierigkeiten. Übrigens nicht nur wir, wie das Dogma von der Jungfräulichkeit Marias zeigt; wäre die jungfräuliche Empfängnis allgemein angenommen worden, wäre kein Dogma nötig gewesen. Die Frage ist wohl, ob wir akzeptieren, dass Gott über unser Verstehen hinaus agiert und in diese Welt eingreift, und dass er dies in einmaliger Weise getan hat bei dem einmaligen Geschehen der Menschwerdung seines Sohnes. Einmalig und unbegreiflich wie dieses Kommen des Sohnes Gottes als Mensch wird auch sein zweites Kommen sein. Jeder Advent weist uns darauf hin und ruft uns auf, mit offenem, glaubendem Herzen ihn zu erwarten und ihm entgegenzugehen, ihm, der unser Bruder geworden ist und der doch mit dem Vater und dem Heiligen Geist der unbegreifliche und unberechenbare Gott bleibt.

P. Lothar Janek SVD