Hochfest der ohne Sünde empfangenen Gottes Mutter Maria

Predigtimpuls

Religion lebt von der Kraft der Transzendenz

Lesung: Gen 3,9-15.20
Lesung: Eph 1,3-6.11-12
Evangelium: Lk 1,26-38

 

Immer wieder findet sich religiöses Vokabular in der öffentlichen Sprache: Religion, Spiritualität, Transzendenz. Es ist noch nicht lange her, dass die Mönche des Zisterzienserstifts Heiligenkreuz in Wienerwald mit ihrem Choral-CD „Chant – Music for Paradise“ wochenlang die Top-Position in den Verkaufshitsparaden hielten. Hörerinnen und Hörer brachten ihre Lobeshymne zur Sprache: "Paradiesisch schöne Gesänge, die die Seele öffnen für das Geheimnis des Lebens und der Liebe, zugleich mit Andacht und spiritueller Tiefe, sodass man beim Hören mit entschweben kann - so ein bisschen ins Paradies."

 

Drückt sich hier nicht etwa das Bedürfnis nach Transzendenz bei vielen Menschen aus, die nach „Mehr“ in ihrem Leben suchen? Ist das nicht ein Zeichen, dass Menschen – gewollt oder ungewollt – stets auf der Suche sind nach dem irgendwie ganz anderen? Das „Kraftwerk Religion“ zeigt hier seine Wirkungsmöglichkeit. Lebt nicht Religion davon, dass sie statt das Verlangen, das erfüllt werden kann, eine Sehnsucht verkündet, die im Grunde grenzenlos ist und nicht erfüllt werden kann? Machen Menschen nicht die Erfahrungen, dass genug eigentlich nicht genug ist, und dass es immer wieder wie eine „Melancholie des Schmerzes des Nicht-Erfüllt-Seins“ im Leben gibt?

 

Religion lebt von der Kraft der Transzendenz, die sie in überzeugender Weise verkündet. Geht es um die Transzendenz, so werden Aspekte ins Licht gebracht, die unsere Sinne und unsere Vernunft übersteigen. Denken wir an das kirchliche Mariendogma, das das heutige Hochfest der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau und Gottesmutter Maria umrahmt. Es besagt, dass Maria vom Anfang ihrer Existenz, also schon vom Augenblick ihrer Empfängnis an, erlöst ist. Mit der Verkündigung dieses Dogmas im Jahre 1854 hat Papst Pius IX damals eine gewachsene Tradition und theologische Einsicht aufgegriffen, die sich über Jahrhunderte hinweg entwickelt hatte.

 

Wie konnte Maria am Erlösungswerk teilnehmen, da sie doch wie alle anderen Menschen unter den Bedingungen der Erbsünde lebte? Diese Frage war und ist der Ausgangspunkt historischer Kontroversen innerhalb der katholischen Kirche bis in unsere Zeit hinein. Antwortversuche kamen von den Dominikanern und von den Franziskanern. Von Sanctificatio Mariae, also von einer göttlichen Reinigung Marias seitens der Dominikaner sowie von der Lehre, dass Maria ohne Sünde empfangen worden ist, vertreten durch die Franziskaner, war die Rede. Das Problem wurde damit nicht gelöst. Die Universität von Paris sowie das Konzil von Basel und die Könige von Aragón haben in 15. Jahrhundert die Teilnahme Marias am Erlösungswerk heftig in Frage gestellt. Dies nahm Johannes Dun Scotus zum Anlass, eine theologische Lösung für das Problem auszuarbeiten. Nach seiner Theorie wurde Maria von der Empfängnis an von der Erbsünde befreit, aber durch die Verdienste Jesu – nur im Voraus. Papst Pius IX sah in dieser Problemfrage die Gefahr der Spaltung der Kirche und verkündete am 8. Dezember 1854 in seiner Bulle ineffabilis Deus (der unbegreifliche Gott) das Dogma von der Unbefleckten Empfängnis Mariens.

 

Das Hochfest der „Unbefleckten Empfängnis Mariens“ spiegelt ein Echo von Transzendenz in unserem katholischen Glauben wider. Dadurch, dass ihr ganzes Wesen reine Empfänglichkeit für die Gnade Gottes ist, ist in ihr nichts als Gnade: „Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast“. Ihr Herz, ihr ganzes Sein ist von Gottes Gnade durchströmt. Nichts in ihr muss Gott missfallen.

 

Lassen wir das Echo der Transzendenz des heutigen Festes unser Herz durchströmen, so erfüllt unser Herz große Freude, dass eine von uns so reich begnadet und erhöht wurde, dass mein menschliches Dasein auch auf den Weg ist zu einem vollendeten Menschen, wie es sich in der Person Marias zeigt. Ich darf zuversichtlich sein, dass mein Menschsein durch die Gnade Gottes nicht gemindert wird, sondern geheiligt und erhöht. Denn mein Menschsein ist auch zur Vollendung gerufen.

 

„Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast“. Hier spricht jemand, der ganz auf Gott vertraut, der nie den Verdacht hat, dass Gott ihm am Ende etwas von seinem Leben wegnehmen will. Die Liebe Gottes macht den Menschen nicht abhängig. Sie führt ihn in all seiner Freiheit zur Vollständigkeit seines Daseins. Der Wille Gottes ist kein Gesetz, das den Menschen „buchstäblich“ zu einer bestimmten Handlung führt, sondern er ist eine innerliche Richtschnur seiner Natur, die bereits in ihn eingeschrieben ist, die ihn zur wahren Person vor Gott macht. Dies alles steht bereits geschrieben in der Person Marias, die uns am heutigen Festtag der Immaculata das Verständnis erleichtern will, dass der Mensch, der sich vollkommen in die Hände des Herrn übergibt, keine Marionette Gottes, keine langweilige, angepasste Person sein wird, die ihre Freiheit verliert.

 

Von solchem transzendentalen Sinn lebt unser Glaube. Mit der „Erwählung Marias“, wie der deutsche Festkalender auch dieses Fest nennt, weiß ich, dass der Mensch nicht völlig schlecht ist. Ich bin vor Gott zwar wie „Staub und Asche“ (Abraham), nichtig und klein, aber durch die Erwählung Marias weiß ich, dass es für mich die Freiheit von Sünde und Verstrickung, ja sogar so etwas wie Heiligkeit, Erlöst-Sein und Leben in Gottes Gnade gibt. Gott hat den Menschen von Grund auf gut gedacht. Für ihn ist die Erlösung und das Erlöst-Sein nicht unerreichbar.

 

Das sind die transzendentalen Werte des heutigen Festes, die über alle Kontroversen hinaus meinem Leben als „Christ in der Welt“ Sinn geben. Trotz der Unvollkommenheit der Schöpfung Gottes und trotz der Erbärmlichkeit meines Daseins, kann ich mit Zuversicht sagen: Ich bin nicht dazu verdammt, unglücklich zu sein, unglücklich zu enden. Mit dem Blick auf Maria, die mutige Frau, die unter dem Kreuz steht, während sich die Jünger in die Flucht schlagen lassen, wage ich den adventlichen Lobpreis über die ewige Pläne Gottes mit uns Menschen zu singen mit den Worten: Magnificat anima mea Dominum! * * *

 

P. Dr. Polykarp Ulin Agan SVD