Erster Adventssonntag (C)

Predigtimpuls

Gerechtigkeit, die große Sehnsucht der Menschheit

1. Lesung: Jer 33,14-16
2. Lesung: 1Thess 3,12-4,2
Evangelium: Lk 21,25-28.34-36


Wir kennen doch alle in unserer Lebensgeschichte die kleine oder große Frage nach der Gerechtigkeit des Lebens. Da bin ich als Kind einmal zu kurz gekommen, weil ein anderer bevorzugt wurde. Sicher hat mich das nicht ein Leben lang beschäftigt, aber ich erzähle es immer wieder gern, dass ich damals beim Krippenspiel nur eine unbedeutende Rolle als Hirte bekam. Mein Freund aber, der eigentlich gar nicht so toll und intelligent war, erhielt eine bessere Rolle mit Text, bei der er glänzen konnte. Ich aber stand nur im Hintergrund. Und heute bin ich derjenige, der Karriere gemacht hat. Er ist ein kleiner Wicht, hat nichts auf die Reihe bekommen im Leben. Irgendwie hat sich da doch die Gerechtigkeit breit gemacht, denn so musste es sein; so war es eigentlich gedacht. Er hätte damals schon nicht die erste Geige spielen dürfen. Na ja, wenigstens hatte das Leben ein Einsehen! Wirklich? Es kann auch ganz anders laufen und das Leben kriegt die Kurve nicht. 

Beispiele bieten die verschiedenen Lebensgeschichten zuhauf. Gerechtigkeit ist eine der großen Sehnsüchte der Menschheit. Wer will nicht gerecht behandelt werden? Gerechtigkeit garantiert Sicherheit. Sie ist sozusagen eine Garantie dafür, dass das, was ich mache, im rechten Licht gesehen, ordentlich honoriert und geachtet wird. Das ist die positive Seite. Habe ich etwas verbrochen, dann ist die Gerechtigkeit nicht unbedingt so gewollt, denn sie will, dass der Fehler ausgemerzt und wieder gut gemacht wird. Das kann mit Bemühungen verbunden sein, die weh tun. Aber auch das ist – sieht man das Ganze - richtig und sorgt für den Ausgleich, den unser Leben braucht, um wirklich im Gleichgewicht zu sein.

In der ersten Lesung aus dem Buch Jeremia ist von einem Spross die Rede, der kommen wird: „Er wird für Recht und Gerechtigkeit sorgen im Land“ (Jer 33,15b). Das ist auch der große Wunsch des auserwählten Volkes, das doch die meiste Zeit seiner Geschichte unter Fremdherrschaft stand und dem so keine Gerechtigkeit zuteil wurde. Diese Gerechtigkeit hat Israel nie von einem anderen erwartet als von seinem Gott – „Jahwe ist unsere Gerechtigkeit“ (Jer 33,16d).  

Auch heute sehnen sich Menschen danach, den einen und großen Gott erfahren zu können, der endlich gerechte Verhältnisse schafft auf allen Ebenen. Doch bleibt dies – schauen wir unsere Realität genau an – eine Utopie. Bleiben wir bei der Gerechtigkeit nicht auf unserer kleinen, privaten Ebene stehen, dann wird noch viel deutlicher, wie ungerecht die Dinge in unserer Welt verteilt sind. Immer häufiger wird von der Schere gesprochen, die Reiche und Arme trennt in unserer Gesellschaft. Es wird auch deutlicher, wie ganze Länder in hoffnungsloser Armut versinken, die Menschen keine Perspektiven haben, weil die wirtschaftlichen Güter ungerecht verteilt sind und einige Wenige den Rahm abschöpfen und anderen keine Chance lassen. 

Auf unserem Weg zur Geburt unseres Heilandes ist diese große und kleine Gerechtigkeit ganz sicher ein Thema, das uns aufrütteln und beschäftigen sollte. Advent ist nicht nur die Zeit der Plätzchen, des Glühweins, der schönen Märkte und Partys. Advent ist die Zeit der großen Fragen der Menschheit; die Zeit der Verheißungen Gottes, die uns alle in die Verantwortung nehmen. Das bei Jeremia Verheißene ist ein Programm für das neue Volk Gottes. Dort, wo Gerechtigkeit geschieht – im Kleinen wie im Großen -, dort wird die Verheißung Realität, dort geschieht wahrer Gottesdienst. Darauf zu warten, dass ein großer göttlicher Magier eingreift, ist Götzendienst und Verblendung. Wo Menschen sich auf den Willen Gottes einlassen, ihn beherzigen, ihn umsetzen, da werden Verheißungen wahr. Auch in dem heutigen Evangelium ist letztlich von der Gerechtigkeit die Rede. Die Sprache befremdet, weil sie ein endzeitliches Szenario beschreibt, das wir heute nicht wirklich verstehen können. Lukas schrieb in einer Zeit, die vom Niedergang geprägt war. Es war wirklich Endzeitstimmung, auch weil der Tempel in Jerusalem zerstört worden war und das Volk seine geistige und handgreifliche Heimat verloren hatte. Da wurden Bilder gemalt, wie am Ende dann doch noch göttliche Gerechtigkeit sich Bahn brechen könnte. In all dem Chaos ist von Heil und Erlösung die Rede. Aber es gibt eine Bedingung: „Nehmt euch in acht … wacht und betet allezeit“ (Lk 21,34a.36a). Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass gerade diese Worte häufig als Mahnung verstanden werden. Eigentlich sind sie ein Rat. Sie wollen keine Angst machen; sie wollen nicht knechten. Sie sind gut und helfend gemeint, denn die ersehnte Gerechtigkeit verlangt Aufmerksamkeit, verlangt Hinschauen und die Verbundenheit mit Gott, der hinter dem Heil und der Erlösung steht. Die Welt wird dort gerechter und heiler, wo Menschen nicht blind durch das Leben laufen, sondern Missstände sehen, benennen und abschaffen; wo Menschen auch den Mut haben, sich zu dem Gott zu bekennen, der unsere Erlösung und unser Heil will: „Man wird ihm den Namen geben: Jahwe ist unsere Gerechtigkeit“ (Jer 33,16c,d). Amen.

 

P. Fabian Conrad SVD