Hochfest der Geburt des Herrn – Weihnachten (In der Hl. Nacht)

Predigtimpuls

Gottes Sehnsucht nach unserer Nähe

1. Lesung: Jes 9,1-6
2. Lesung: Tit 2,11-14
Evangelium: Lk 2,1-14


Gottes Sehnsucht nach unserer Nähe

„Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren. Er ist der Messias, der Herr!“ Diese Frohbotschaft der Heiligen Nacht hat uns zu einem festlichen Gottesdienst zusammengeführt. Weihnachten möchte ich so übersetzen: Durch seine Menschwerdung hat Gott die Sehnsucht nach uns Menschen verwirklicht. ER hat seine Schöpfung, Welt und Menschen, so sehr geliebt, dass ER in unterschiedlichen Zeiten, in unterschiedlicher Weise, unterschiedliche Menschen in die Welt gesandt hat. Seine tiefe Sehnsucht nach uns Menschen zeigt ER am offensichtlichsten dadurch, dass ER selbst Mensch geworden und in Jesus von Nazareth uns nahe gekommen ist. In Jesus spricht Gott am deutlichsten mit uns. So hat er seiner Sehnsucht einen Namen gegeben – der ist „Jesus“. 

Mit diesem Jesus legt ER uns das wichtigste Wort in den Mund – das Wort der Liebe und Geborgenheit, das Wort der Nähe und Distanz, das Wort des Verzeihens und der Versöhnung. ER gibt uns allen die Fähigkeit, im Sinne seiner Liebe und im Sinne seiner Menschwerdung zu wirken. Diese Liebe leuchtet auf, wo wir in diesen Tagen gute Wünsche austauschen, wo wir an diesem Fest friedlicher und barmherziger miteinander umgehen als sonst. Wo wir uns bei den zahlreichen Begegnungen herzlich begegnen und menschliche Nähe suchen, da spüren wir: Gott lässt sich finden. Ja, heute ist uns der Heiland, der Messias, der Immanuel geboren. Er wird von den Menschen erkannt, die ihn suchen und die nach ihm fragen. So bleibt Jesus, der menschgewordene Gott, eine in Wirklichkeit umgesetzte Sehnsucht Gottes, die immer mit Menschen in aufrichtige Beziehung treten will. Entscheidend ist nur, ob wir bereit sind, seine Sehnsucht wahr werden zu lassen und bereit sind, ihn freudig aufzunehmen und uns mit diesem weihnachtlichen Kind auf den Weg zu machen mit allen Konsequenzen.


Unsere Sehnsucht nach Gottesnähe

Gottes Sehnsucht nach Menschen und deren Umsetzung in der Wirklichkeit löst in den Herzen der Menschen eine verantwortbare Sehnsucht nach IHM, seinem Ursprung, aus. Von Anfang an drücken die Menschen ihre Sehnsucht nach Gott, ihrem Schöpfer, auf verschiedene Weise aus. In den Erzählungen des Volkes Israel heißt es, dass die Menschen sich nach dem Messias, dem Erlöser, sehnten. Sie wollten Gott begegnen, ihn erfahren und bei ihm geborgen sein. So eben hörten wir in der ersten Lesung aus Jesaja. „Man freut sich in deiner Nähe, wie man sich freut bei der Ernte … denn uns ist ein Kind geboren“. Der Prophet Jesaja sagt es hier voraus, dass die Menschen nur in der Nähe des menschgewordenen Wortes Gottes die wahre Freude erfahren. 

Schwestern und Brüder, ist das nicht auch unsere Erfahrung heute? Wir sehnen uns nach einem Leben in Frieden und Freude in Fülle. Andererseits spüren wir aber in dieser schnelllebigen Zeit deutlich, dass unsere Sehnsucht immer größer als die Erfüllung ist und diese Sehnsucht meistens ungestillt bleibt. Wir können uns über materielle Dinge freuen, sie genießen; die Sehnsucht nach Lebenserfüllung bleibt. Ohne die wahre Freude verlieren wir den Sinn unseres Lebens, und wir laufen Gefahr, uns von Gott zu distanzieren. Weihnachten lässt uns erfahren: Unsere Sehnsucht nach Gott hat sich in Jesus erfüllt. Mit dem menschgewordenen Wort Gottes ist Gott selber zu uns gekommen. Wer Jesus Christus findet, der findet Gott. Wer an ihn glaubt, der hat jetzt schon ewiges Leben: in seinem Wort, im heiligen Mahl, in der Gemeinschaft der Glaubenden. Im Psalm 42 heißt es: „Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott.“ Gibt es das heute bei uns noch? Oder gehen wir völlig auf in den materiellen, den irdischen Sehnsüchten?


Unsere Sehnsucht nach zwischenmenschlicher Nähe

Wo die Sehnsüchte, wo die Liebe von Gott und Menschen sich berühren und begegnen, da entsteht etwas Neues – eine neue Geburt – da ist Jesus - da ist Reich Gottes. Da wird plötzlich die zwischenmenschliche Beziehung sehr wichtig. Unser Leben ist auf Beziehungen und Begegnungen angelegt, die durch Nähe und Distanz entstehen. Viele unserer Zeitgenossen erleben Beziehungskrisen und tragen voller Sehnsucht eine Frage im Herzen: Wie ein Leben führen, das mich erfüllt? Nach menschlicher Nähe sehnen sich alle. Viele hoffen es, dass wenigstens einmal im Jahr, an Weihnachten, die ganze Familie zusammen kommt, samt Kindern und Jugendlichen, die es ja meist nach draußen zieht. Eine tiefe Sehnsucht steckt dahinter: die Sehnsucht nach Nähe, nach Geborgenheit und Vertrautheit. Gerade in unserer Zeit empfinden viele diese Sehnsucht besonders stark, eben weil sie trautes Beisammensein vermissen. Der moderne Lebensstil reißt die Familien auseinander, jeder geht seine eigenen Wege. Die Beziehung zwischen Eltern und Kindern, zwischen den Menschen einer Wohngemeinschaft oder in der Ehe bricht auseinander. 

Das Weihnachtsevangelium, das Kind in der Krippe in dem Gott unsere Nähe sucht, zeigt uns den Weg, wie echte menschliche Nähe zustande kommt und wie aufrichtige zwischenmenschliche Beziehung funktionieren kann.

  1. Klein werden und den ersten Schritt wagen wie Gott: Gott ergreift die Initiative und wagt den ersten Schritt. ER macht sich klein. ER kommt zu uns wehrlos, damit wir uns nicht zu fürchten brauchen. 
    Was machen die meisten Menschen heutzutage? In persönlichen Krisen schützen sie sich und grenzen sich ab. Sie zeigen nicht, was sie denken und fühlen. Sie lassen niemanden an sich heran. Vor allem zeigen sie keinem, dass sie auch schwach sein können, dass sie Angst haben und sich Sorgen machen. Selbst Ehepartner zeigen einander allzu selten ihr wahres Gesicht. Eltern und Kinder begegnen sich gegenseitig mit Vorwürfen. Warum kann er oder sie nicht den ersten Schritt machen? Warum muss oder soll ich? Doch es gibt keinen anderen Weg dorthin als den, dass einer sich dem anderen schutzlos zeigt, so wie ein jeder wirklich ist. Das Kind in der Krippe gibt uns daher den Tipp: Nur wer sich klein macht, demütig zeigt, kommt nicht nur dem menschgewordenen Gott nahe sondern auch seinem Gegenüber. 
  2. Im Gewöhnlichen das Außergewöhnliche sehen: „In jener Gegend lagerten Hirten auf freiem Feld und hielten Nachtwache bei ihrer Herde. Da trat der Engel des Herrn zu ihnen und der Glanz des Herrn umstrahlte sie.“ Die Hirten, die ihren Alltag leben, wie viele andere Menschen heute, hören die außergewöhnliche Botschaft des Engels und finden schließlich etwas sehr Gewöhnliches vor: Vater, Mutter, Kind. Was soll daran schon besonders sein? Durch die Worte des Engels sind sie aber empfänglich geworden für das Besondere dieser Nacht. Sie sehen in dem Gewöhnlichen das ganz und gar Ungewöhnliche. Auf einmal können ihre Augen tiefer sehen, ihre Ohren genauer hinhören. Ihnen werden Erfahrungen zuteil, mit denen sie vorher nie gerechnet hätten. Eine Hoffnung erfüllt sie. Ein Licht erleuchtet sie nun auch von innen. Hier in dieser Krippe strahlt ihnen in dem neugeborenen Kind Gottes Liebe entgegen. Licht in der Dunkelheit, Trost in der Ausweglosigkeit, Hoffnung auf Lebendigkeit im täglichen Einerlei. Es ist erstaunlich, wie sich das Lebensgefühl manchmal ändern kann. Und das ist gerade wichtig für eine zwischenmenschliche Beziehung, die oft zur Routine werden kann. Wenn einer bereit ist, den anderen mit dem Herzen zu sehen, zu hören und zu riechen, wird er plötzlich Außergewöhnliches im Gewöhnlichen entdecken. Da schwindet die Langeweile in der Beziehung.
  3. Die Botschaft (Gottes) als Wegweiser erkennen: „Und das soll euch als Zeichen dienen: Ihr werdet ein Kind finden, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt“. Die Hirten konnten den menschgewordenen Gott sehen und erleben, weil sie aufmerksam waren, weil sie sich von Boten Gottes – von den Engeln - führen ließen. Wir haben heutzutage so viele Angebote auf den Märkten, so viele Stimmen und so viele Worte. Welcher ist der richtige Wegweiser für uns? So brauchen auch wir Sensibilität für Engel, die uns Mut machen und unsere Herzen öffnen. Manchmal begegnen sie uns in Menschen, die mit der rechten Tat am rechten Ort weiterhelfen. Mitten im Alltag kann uns ein Wort treffen, das uns Orientierung zu geben vermag. Manchmal beginnen wir zu hören, was uns bis dahin verschlossen war, beginnen zu sehen, wo unsere Augen blind waren. Aufmerksam werden, achtsam leben, tiefer sehen, genauer hören – das sind wichtige Elemente für eine zwischenmenschliche Beziehung.


Wir haben allen Grund zur Freude

Ja, wir haben allen Grund zur Freude, denn heute ist ein besonderer Tag – es ist Weihnachten. Wir feiern, dass unser Gott uns so nahe kommt, wie es näher nicht möglich ist. Gott wird einer von uns. Gott ist Immanuel, der „Gott mit uns“. 

Unser Menschenherz ist der Geburtsort Jesu heute. Denn nur in unseren Herzen kann die Geburt des menschgewordenen Wortes Gottes etwas bewirken, sich entfalten und in unser Leben hinein strahlen. Aus der Krippe des Herzens geht die Frohbotschaft der Hoffnung und des Friedens in diese geplagte Welt hinein, um ihr wieder von Neuem zu sagen und zu verkünden: „Fürchtet euch nicht, denn ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zuteil werden soll: Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren, es ist der Messias, der Herr“. 

Unsere Sehnsüchte und Bedürfnisse sind alle berechtigt und verständlich. Doch sie dürfen uns den Weg nicht verstellen, damit in und über all diesen Wünschen die Sehnsucht nach Gott lebendig bleibt. Denn wie die Hl. Theresia von Avila sagt: „Alles vergeht, Gott bleibt derselbe. Wer Gott gefunden hat, dem kann nichts fehlen. Gott allein genügt.“ 

Schwestern und Brüder, aus der Freude dieses Tages wende ich mich einem jeden einzelnen von Ihnen zu und wünsche von Herzen frohe und gesegnete Weihnachten.


P. Xavier Alangaram SVD