Hl. Katharina von Siena, Kirchenlehrerin (G)

Predigtimpuls

Caterina

Lesung: 1Joh 1,5-2,2
Evangelium: Mt 11,25-30


Im Jahre 1970 ernannte Paul VI. zwei Frauen zu Kirchenlehrerinnen, ein bisher einmaliges Ereignis in der Geschichte der katholischen Kirche: Die Heiligen Caterina von Siena und Teresa von Ávila. Beide Frauen waren Mystikerinnen.  

Was sagt uns das über Caterina von Siena, eine Frau aus dem 14. Jahrhundert? 

"Es gibt keine allgemein rezipierte Theologie der Mystik innerhalb der christlichen und katholischen Theologie. Es gibt große Mystiker (und Mystikerinnen!), die von ihren Erfahrungen Zeugnis geben." ¹ 

Die Erfahrungen der Mystikerinnen sind Erfahrungen von aus dem christlichen Glauben lebenden und handelnden Christinnen. Tiefer, intensiver, existentieller gewiss - letztlich jedoch glauben sie einfach nur anders, jedoch aus derselben göttlichen Gnade. Sie wollen das Unsagbare sagen. Es heißt, wer von Gott berührt wird, muss sich mitteilen, will die eigene Erfahrung mit anderen teilen. "Wisset, dass die Zunge aus der Überfülle des Herzens redet." ² 

Das 14. Jahrhundert war eine Zeit sozialer und politischer Unruhen. Kaiser und Papst, der mit der Kurie in Avignon weilte, stritten um die Macht. 1348 wütete die Pest von Sizilien bis Nordeuropa. In Siena starb die Hälfte der Bevölkerung. 

Caterina war das 23. Kind von 25 Kindern, geboren am Palmsonntag, am 25. März 1347 in Siena. Sie war erst 33 Jahre alt, als sie 1380 in Rom starb. Schon als Kind erfährt Caterina sich als Auserwählte, erfüllt von dem starken Wunsch nach einem geistlichen Leben, wodurch sie in Konflikt mit ihren Eltern geriet, die die Ehe für sie planten. Sie tritt in die Laiengemeinschaft des Dritten Ordens, bei den Schwestern von der Reue des heiligen Dominikus in Siena, ein. 

"Erfüllt von glühender Gottesliebe öffnet sie ihr Herz weit für die Not der Mitwelt und wurde zur Freundin der Armen und Bedrängten und später zur Mittlerin und Friedensstifterin, als die sie in der Geschichte fortlebt". ³ 

In Caterinas Hauptwerk "Gespräch von Gottes Vorsehung" redet die Seele mit Gott. Sie diktierte es zwei Jahre vor ihrem Tod, 1478, sie selbst war des Schreibens unkundig. Hier spricht sie über den argen Zustand der Welt und insbesondere der Kirche. Der ewige Vater erklärt Caterina seine Vorsehung. 

In diesem Buch können wir auch etwas sehr Treffendes für uns, für unsere Zeit heute lesen: Caterina drückt ihre Freude darüber aus, andere Menschen ihren anderen Weg gehen zu sehen. 

"Ein solcher Mensch freut sich an jedem Ding, wirft sich nicht zum Richter auf über meine Diener noch über sonst jemanden, freut sich vielmehr an jedem Stand und jeder Art, indem er sagt: 'Dank sei Dir, ewiger Vater, der Du viele Wohnungen in Deinem Hause hast (vgl. Joh.14,2). Gerade die Verschiedenheit, die er erfährt, ist ihm Grund zur Freude, mehr als wenn er alle Menschen ein und denselben Weg gehen sähe, denn so offenbart sich ihm klarer die Größe meiner Güte. ..." So spricht der Vater zur Seele.  

Ist das nicht ein wirklich schöner Gedanke, den wir heute im interreligiösen Dialog und Miteinander-Leben der verschiedenen Religionsgemeinschaften so dringend benötigen? Die auf so verschiedenen Wegen schreitenden Menschen sind ein klarer, einleuchtender - erleuchtender - Beweis der Größe von Gottes Güte!!! 

Hörte Caterina auf den Geist ihrer Zeit? Welche Antwort hat sie damals gegeben und praktiziert? Darin liegt ihre geistliche Bedeutung für uns heute und für die Kirche allgemein, und darum geht es ja an ihrem Festtag. Worin war sie in ihrer Antwort beim Hören auf den Geist ihrer Zeit für uns vorbildlich? Zunächst durch ihre Aufmerksamkeit und Achtsamkeit auf den Geist ihrer Zeit überhaupt. Denn der Geist der Zeit ist ja nicht nur des Teufels, er ist auch des Heiligen Geistes, der sich für uns Christen und Christinnen durch Menschen, deren Denken und Handeln, offenbart. Die Kirche hat dafür eine besondere Art und Weise der Auszeichnung - die Kirchenlehrer und -lehrerinnen. Es sind Menschen, die auf den Geist ihrer Zeit hörten und in einer Weise antworteten, dass sie auch künftigen Generationen von ChristInnen Hoffnung schenken. Kirchenlehrerin, Kirchenlehrer - gleichsam Ehrentitel für Männer und Frauen, bei denen wir in religiösen Belangen vielleicht nachlesen und Antworten finden für unsere Glaubensschwierigkeiten heute. 

Mit der Sehnsucht nach tieferem, authentischerem Glaubenkönnen hat sich Pater Hermann Kochanek SVD befasst: "Dafür braucht es in der Gemeinde Menschen, Mystagogen, die mit anderen verbindlich Lebens- und Glaubensgemeinschaften in Gruppen und kleinen überschaubaren Einheiten bilden und intensiven Austausch miteinander pflegen, damit Orte und Räume entstehen und erlebt werden, wo die Geschichte Gottes mit der Geschichte von konkreten Menschen (hervorgehoben von mir) zur Sprache kommt, gefeiert und bezeugt wird." 

Zum gleichen Thema - Sehnsucht nach befreitem und befreiendem Glauben - äußerte sich 2007 in einem Interview während der Bischofskonferenz Lateinamerikas in Aparecida / Brasilien, Kardinal Jorge Mario Bergoglio, heute Papst Franziskus: "Unsere Religionssoziologen sagen uns, dass sich der Einfluss einer Pfarrei auf einen Umkreis von 600 Metern erstreckt. In Buenos Aires liegen zwischen einer Pfarrei und der nächsten zirka 2000 Meter. Ich habe den Priestern damals gesagt: 'Wenn ihr könnt, mietet eine Garage, und wenn ihr den einen oder anderen disponiblen Laien auftreiben könnt, dann lasst ihn machen! Er soll sich um diese Leute hier kümmern, ein bisschen Katechese machen, ja auch die Kommunion spenden.' Auf die Bedenken eines Pfarrers hin habe er geantwortet: 'Aus sich selbst herauszugehen bedeutet auch, aus dem Garten seiner eigenen Überzeugungen hinauszugehen.' " 6 

Caterina ist auch ein überzeugendes Beispiel für die Gleichzeitigkeit von vita contemplativa und vita activa – von kontemplativem und aktivem Leben. Die innere Kraft kann gar nicht anders, als sich den Menschen zuzuwenden. Diese zum Leben hin befreiende Kraft bezeugt die Echtheit, die Tiefe ihrer Gottesliebe. Sie lässt sich nämlich erkennen, je nachdem ob sie bedrängt oder befreit, ängstlich oder mutig macht, und daran, ob sie im praktischen Leben umgesetzt wird. Diese Kraft ist die Liebe! 

Das Miteinander von mystischer Erfahrung und politisch-sozialer Aktion prägt Caterinas Lebensweg. Sie geht zu den Menschen, denen sie auf der Straße begegnet, das ist der Beginn ihrer eigenen "famiglia", "... eine wachsende Schar von Männern und Frauen aller Schichten, Priester und Laien. ... Caterinas Charisma zog diese Menschen an, die sich mit ihr gemeinsam in den Dienst eines Lebens radikaler Nachfolge Christi begaben. Dazu gehörte neben Gebet und Schriftlesung vor allem auch die Sorge für die Armen und Kranken." 

"Ein bisher einmaliges Ereignis in der katholischen Kirche" - nannte ich die Ernennung von Frauen zu Kirchenlehrerinnen. Das Thema "Frau und Kirche, Frau in der Kirche" bewegt nicht erst unsere Zeit, sondern zieht sich durch die Jahrhunderte. Nicht nur Teresa von Ávila im 16. Jh. litt unter ihrem Frausein in der Kirche. Auch Caterina kamen Zweifel an ihren Fähigkeiten, ihre Vorstellungen von der notwendigen Reform der Kirche durchzusetzen, vor allem die Rückkehr des Papstes nach Rom zu erreichen. 

"Als Caterina einmal Zweifel an ihrer Durchsetzungskraft kamen, rief sie aus: 'Herr, wie könnte ich so handeln, wie du mir gesagt hast, [...] denn mein Geschlecht ist für mich ein Hindernis, das du wohl kennst.' Da habe der Herr geantwortet: 'Mit der Gnade meines Geistes beschenke ich, wen ich will; es gibt nicht Mann oder Frau, nicht Gemeine oder Adlige, denn alle sind vor mir gleich.'"  

Ihre briefliche Tätigkeit beginnt 1370. Man stelle sich vor: Im Alter von 23 bis 33 Jahren schreibt Caterina ihre Briefe. Welche Wertschätzung einer noch reichlich jugendlichen Frau! Beratend, mahnend wendet sie sich an den Papst, an Bischöfe, Ordensleute und Laien. Wo finden wir heute jugendliche Menschen in wichtigen Positionen zu geistlichen Aufgaben berufen? Man traut Jugendlichen heute häufig zu wenig zu, ein Defizit unserer Zeit, eine Überalterung der Gesellschaft, nicht nur biologisch, sondern gleichsam als Vormundschaft der Alten. Auch dieser Aspekt gehört zur heutigen Bedeutung ihrer Persönlichkeit: Eine Verjüngung der gesellschaftlichen, politischen und religiösen Kultur. Junge Menschen sind oftmals offener für die Zukunft, alte mehr auf die Vergangenheit ausgerichtet.

In einem Brief an ihre Mutter, in dem sie sich gleichsam zur Schwester ihrer Mutter macht, bittet sie diese um Geduld - in heutiger Sprache: Lass mich los, auf dass ich meine Aufgaben wahrnehmen und damit du in Frieden leben kannst. Bei ihr heißt das: "Liebste Mutter in Christus und Jesus! ... Dass ihr nämlich Euren ganzen Willen und mich, Eure unwürdige armselige Tochter, dem Dienste und der Ehre Gottes und zum Heil der Seelen überantwortet, in aufrichtiger und vollkommener Geduld ...". 9 

In einem anderen Brief ermahnt sie ihre Mutter, sich um Selbsterkenntnis zu bemühen, für die täglichen Gaben und Gnaden dankbar zu sein und kleine Angelegenheiten nicht für große zu nehmen. Hier erweist sich Caterina wie Teresa von Avila als ausgezeichnete Psychologin. "So lernt sie in der Selbsterkenntnis und im Bedenken ihrer Fehler meine Güte erkennen und ihre Übungen in wahrer Demut fortsetzen." 10 

Bei Caterina ist zwar noch die Rede vom Bedenken der eigenen Fehler. Mir zeigt das, dass Gottes- und Menschenliebe sich auf wunderbare Weise ergänzen und dass Selbsterkenntnis durch alle Jahrhunderte hindurch viele Menschen ins Geheimnis der Inkarnation lockte. Selbsterkenntnis - die Erkenntnis, dass wir selbst ein Wunder und ein Geheimnis sind. 


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Literaturnachweis

1 Karl Rahner im Vorwort zu Carl Albrecht, Das mystische Wort. Erleben und Sprechen in Versunkenheit. Mainz,
1974, S. VII
2 Caterina im Brief an den Heiligen Vater Gregor XI. von 1375. s.u. München Zürich 1989
3 Ellen Sommer- von Seckendorff im Vorwort: Caterina von Siena, Gespräch von Gottes Vor¬sehung. Einsiedeln.
3. Aufl. 1964, S.VII
4 Gespräch, 1964, S. 127
5 Hermann Kochanek SVD, "Heil durch Erfahrung und Erkennen", Veröffentlichungen des Missions-
Priesterse¬mi¬nars St. Augustin 1993, S.135.
6 Süddeutsche Zeitung Nr. 75, Ostern 30./31.März/1..April 2013
7 Der Berg der Liebe. Europäische Frauenmystik. Herausgegeben und eingeleitet von Helga Unger. Herder
Freiburg 1991, S. 221
8 Hanna Barbara Gerl-Falkovitz, Freundinnen. Christliche Frauen aus zwei Jahrtausenden. 2. Aufl. München 1995,
S. 82; dort Fußnote: zitiert nach R.W.. Howard, Should Women Be Priests? Oxford 1949,20
9 Brief etwa 1370 in: Caterina von Siena, Gottes Vorsehung. Herausgegeben, eingeleitet und übersetzt von Louise
Gnädinger. München Zürich 1989, S. 39f
10 "Gespräch von Gottes Vorsehung" S. 81 s. Einsiedeln 1964


Gertrud Schiemann, Essen