1. Adventssonntag (B)

Besinnung

Betrachtung zur Lesung aus dem ersten Testament: Jes 63,16 - 64,7

Der Text

(hier der komplette Text; der verkürzte Sonntagstext steht in Fettdruck)

63,16 Du bist doch unser Vater; /
denn Abraham weiß nichts von uns, Israel will uns nicht kennen. /
Du, Herr, bist unser Vater, /
«Unser Erlöser von jeher» wirst du genannt.

Israels Stammväter können dem Volk nicht helfen.
17 Warum lässt du uns, Herr, von deinen Wegen abirren /
und machst unser Herz hart, /
sodass wir dich nicht mehr fürchten? Kehre zurück um deiner Knechte willen, /
um der Stämme willen, die dein Eigentum sind.

18 Erst vor kurzem haben unsere Feinde dein heiliges Volk vertrieben; /
dein Heiligtum haben sie zertreten.
19 Uns geht es, als wärest du nie unser Herrscher gewesen, /
als wären wir nicht nach deinem Namen benannt. Reiß doch den Himmel auf und komm herab, /
sodass die Berge zittern vor dir.


64,1 Komm wie ein Feuer, das Reisig entzündet, /
wie ein Feuer, das Wasser zum Sieden bringt. Mach deinen Feinden deinen Namen bekannt, /
sodass die Völker zittern vor dir,
2 wenn du schreckliche und nie erwartete Taten vollbringst. /
[Komm herab, sodass die Berge zittern vor dir.]
Der Zusatz ist eine irrtümliche Wiederholung aus 63,19.
3 Seit Menschengedenken hat man noch nie vernommen, /
kein Ohr hat gehört, kein Auge gesehen, dass es einen Gott gibt außer dir, /
der denen Gutes tut, die auf ihn hoffen.

kein Ohr hat gehört: Text korr.; H: sie haben nicht gehört.
4 Ach, kämst du doch denen entgegen, /
die tun, was recht ist, /
und nachdenken über deine Wege. Ja, du warst zornig; /
denn wir haben gegen dich gesündigt, /
von Urzeit an sind wir treulos geworden.

H unklar, Übersetzung im Anschluss an G.
5 Wie unreine (Menschen) sind wir alle geworden, /
unsere ganze Gerechtigkeit ist wie ein schmutziges Kleid. Wie Laub sind wir alle verwelkt, /
unsere Schuld trägt uns fort wie der Wind.

6 Niemand ruft deinen Namen an, /
keiner rafft sich dazu auf, fest zu halten an dir. Denn du hast dein Angesicht vor uns verborgen /
und hast uns der Gewalt unserer Schuld überlassen.

7 Und doch bist du, Herr, unser Vater. /
Wir sind der Ton und du bist unser Töpfer, /
wir alle sind das Werk deiner Hände.


Textbetrachtung

63,16: Die Kapitel 56 – 66 des Jesajabuches wenden sich an die aus dem Exil Heimgekehrten und schildern Gott als Vater und auch als Mutter, Jes 66,13.Wenn Gott „unser Vater“ ist, dann ist er nach biblischem Verständnis kein Mann mit einem männlichen Geschlecht. Es war nach den „Zehn Worten“ verboten, sich ein geformtes Bild von Gott zu machen: „Du sollst neben mir keine anderen Götter haben. Du sollst dir kein Gottesbild machen und keine Darstellung von irgendetwas am Himmel droben, auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde“ (Ex 20,3f). Gottesbilder und –darstellungen waren verboten, aber Wortbilder von Gott waren erlaubt. „Vater“ ist solch ein Wortbild von Gott. Gott aber ist kein Vater wie ihn die bildende Kunst oft dargestellt hat. Jedoch handelt er wie ein guter Vater oder wie eine gute Mutter. Alle Wortbilder der biblischen Bücher müssen daher immer nur in ihrer Funktion verstanden werden.

Der „Vater“ Abraham und der „Vater“ Israel/Jakob handelt eben nicht wie der Vatergott Israels. Sie wissen nach Meinung des Beters nichts vom Volk und kennen es nicht. Gott aber ist ein Vater, der um sein Volk weiß und es auch kennt. Das hebräische Wort für „kennen“ meint auch „lieben“. Nur wer selber liebt, erkennt auch tatsächlich den Geliebten. Der Vatergott liebt sein Volk wirklich, aber die Stammväter Israels, Abraham und Jakob/Israel, lieben es nicht wie er. Dass Jahwe, der allzeit wirkende Gott vom brennenden Dornbusch (Ex 2,14) mit „Herr“ angeredet wird, resultiert daher, dass man den Namen Gottes aus Ehrfurcht, etwa seit dem Babylonischen Exil (586-538 v.Chr.) nicht mehr aussprach, sondern Adonai/Herr an seiner Stelle las. Die griechische Bibelübersetzung der Septuaginta hat Adonai mit Kyrios/Herr übersetzt. Jahwe, der Israel aus Ägypten, dem Land fremder Götter, und aus der Versklavung erlöst hat und wie ein guter Vater handelt, ist doch allein der Erlöser Israels von jeher. Die Stammväter Israels können das Volk letztlich nicht aus der Gottesferne zur Gottesnähe erlösen. Das kann allein Jahwe, der eigentliche Vater und Erlöser Israels.


V 17: Es scheint aber noch in den ersten Jahrzehnten nach dem Babylonischen Exil als ob Jahwe sich nicht mehr väterlich um sein Eigentumsvolk kümmert, dass er fortgegangen ist, weil er es vom rechten Weg abirren ließ und folglich sein „Herz“ hart wurde. Nach biblischem Verständnis denkt, plant und entscheidet das „Herz“. Das verhärtete Herz Israels richtet sich nicht mehr nach der Tora und Weisung Israels. Jahwe aber „fürchtet“, wer in Verantwortung vor ihm Freude an seiner Weisung hat, entsprechend lebt und nicht den Weg der gottlosen Sünder betritt: „Wohl dem Mann, der nicht dem Rat der Frevler folgt, nicht auf dem Weg der Sünder geht, nicht im Kreis der Spötter sitzt, sondern Freude hat an der Weisung des Herrn, über seine Weisung nachsinnt bei Tag und bei Nacht“ (Ps 1,1f). „Kehre zurück“ bittet der Beter inständig. Ihm geht es nicht um die Umkehr der Sünder, sondern um die Umkehr Jahwes zu seinem Eigentumsvolk. Wie ein guter Vater soll er seine Kinder lehren, den richtigen Weg zu gehen.


V 18: Der Prophet erinnert an die babylonischen Feinde Israels, die erst vor nicht allzu langer Zeit das Jahwe heilige Volk aus seinem Land vertrieben haben und den Jerusalemer Tempel zerstörten. „Heilig“ versteht der biblische Text nicht als „moralisch einwandfrei und sündenlos“, sondern als „besonders“. Israel ist deswegen ein heiliges Volk, weil es anders als die anderen Völker allein Jahwe gehört; es ist ein besonderes Volk aufgrund seiner Erwählung. Wenn Jahwe in Jes 6,3 als der dreimal heilige Gott benannt wird, dann ist er so unvergleichlich besonders, dass man ihn mit keinem anderen Gott vergleichen kann: „Heilig, heilig, heilig ist der Herr der Heere.“


V 19: Als der babylonische König Nebukadnezar 597 v.Chr. Jerusalem eroberte, den Tempel zerstörte und das Königreich Juda als politische Größe gänzlich vernichtete, war das eine ungeheure Katastrophe für Jüdinnen und Juden. Der babylonische Staatsgott Marduk hatte nach der Meinung vieler den Staatsgott Judas, Jahwe, besiegt. Es sah damals so aus, als wäre er nie der Herrscher Israels gewesen. Aber die Propheten Israels erklärten und verkündeten, dass Jahwe nicht besiegt werden konnte. Die Umsiedlung der jüdischen Oberschicht wurde von ihnen als Strafe Jahwes und nicht als seine Niederlage verkündet und ausgelegt. Es scheint dem klagenden Propheten als wäre Jahwes Eigentumsvolk niemals nach seinem Namen benannt worden. Und doch gehört Israel Jahwe zu eigen. Er hat es mit seinem Namen als sein Eigentum anerkannt und bezeichnet, so wie man etwa ein Buch durch die Eintragung seines Namens als Besitz eines Eigentümers kennzeichnet. „Reiß doch den Himmel auf, und komm herab, so dass die Berge zittern vor dir.“ Mit diesem sehnsüchtigen Schrei, nach der Art wie man schon den Wettergott Baal herbeigerufen hat, ruft der Prophet Gott auf die Erde. Alle, auch die Babylonier sollen endlich erkennen, dass Jahwe nicht tödlich besiegt wurde, sondern dass er für sein Volk da ist und lebt.


64,1: Auf den feurigen Vulkangott Jahwe, den man aus der Wüste mitgebracht hatte, und mit dem Mose am Dornbusch gesprochen haben soll, wird hier angespielt. Damals hat sich Gott im brennenden Dornbusch als der für sein Volk allezeit Wirkende offenbart, (vgl. Ex 3,14). Und so soll er jetzt seinen Feinden seinen „Namen“ dadurch bekannt machen, dass er herab kommt und sich um sein Eigentum kümmert. Schreckliche und nie erwartete Taten sollen die Völker vor der Macht Jahwes erzittern lassen.


V 3: Es gibt eben keinen babylonischen Marduk oder sonst einen Gott außer dem einzigen Gott, der all denen Gutes tut, die auf ihn hoffen wie der Prophet. Dieser Gott ist nicht durch die Babylonier vernichtet worden, sondern er existiert und wird die Hoffnung auf Erlösung niemals enttäuschen.


V 4: Richtig nach der Tora und Weisung Jahwes handeln und auf seinen Wegen gehen. Das ist jetzt für die aus dem Exil Heimgekehrten notwendig. Die da Zurückgekommenen waren arme Schlucker. Die Reichen, inzwischen an Euphrat und Tigris etablierten, Jüdinnen und Juden waren nicht unter ihnen. Der Tempel in Jerusalem lag immer noch zerstört als Ruine verwüstet am Boden, man war eine unbedeutende Schar im großen persischen Reich. Das Exil wurde als Strafe verstanden, weil man treulos gegen Jahwe gesündigt hatte.


V 5: Unreine Menschen gelten als kultisch „unrein“, dürfen sich Gott nicht nähern und sind vom offiziellen Tempelkult, den es ja in exilischer und früher nachexilischer Zeit gar nicht gab, ausgeschlossen. Der biblische Begriff „Gerechtigkeit“ entspricht ganz und gar nicht unserem juridischen Verständnis. Die biblische Sprache versteht „Gerechtigkeit“ als gemeinschaftliches faires Handeln. Wer etwa die Treue bricht, handelt ungerecht. Alle Gesetze und Gebote Gottes dürfen niemals in unseren Beziehungen die Liebe verletzen. Mit einem schmutzigen, unreinen Kleid, weil es z.B. eine Leiche berührt hat, ist man kultisch unrein, und man darf sich Gott nicht mehr im Kult ohne Reinigung nähern. Verwelktem Laub ähnlich, das der Wind davontreibt, sind die gottlosen vergleichbar geworden.


V 6: Was Jahwe durch die Babylonische Verbannung und durch die armselige Nachexilszeit bestraft, ist die Gottvergessenheit und Untreue seines Volkes. Die Schuld des Volkes verbirgt das Angesicht Gottes. Wenn Menschen sich von Gott entfernen, entfernt er sich gleichzeitig von ihnen und verbirgt sich.


V 7: Aber dennoch wird er wie ein guter Vater an uns handeln. Wie ein Töpfer, der Krüge mit seinen Händen gestaltet, erzieht und formt uns Gott. Auch wenn Gott uns manchmal so fern scheint, wenn er uns durch seinen zeitweiligen Entzug bestraft, will er uns durch solche Bestrafung helfen zu ihm umzukehren.


P. Hieronymus Horn OSB