18. Sonntag im Jahreskreis (B)

Predigtimpuls

Grundlegende Suche nach Lebenssinn

1. Lesung: Ex 16,2-4.12-15
Zwischengesang: www.antwortpsalm.de
2. Lesung: Eph 4,17.20-24
Evangelium: Joh 6,24-35

Zielsatz: In der Verkündigung soll zum Ausdruck kommen, dass wir Menschen oft nur vordergründig nach einem tragenden Lebenssinn streben, die Botschaft des Evangeliums uns aber einlädt, grundlegender zu suchen. Bei dieser Suche ruft uns Jesus auf, unsere Sehnsüchte an ihm festzumachen und im Glauben an ihn unsere tiefste Erfüllung zu finden.

Erlebe dein Leben! 

Dieses Motto bringt treffend das vorrangige Lebensgefühl von Menschen heute zum Ausdruck. Für viele Zeitgenossen gilt die Lebensregel: Alles, was ich unternehme und tue, was ich brauche und nötig habe, muss Spaß machen und zu einem Erlebnis werden. Mit anderen Worten: Das Leben ist schlechthin zum Erlebnisprojekt geworden. 

So dient zum Beispiel der Einkauf in einem Supermarkt nicht nur dem Erwerb von Waren und Lebensmitteln, sondern er muss auch Erlebnisse vermitteln. Ein Restaurant hat nicht nur eine gut bürgerliche Küche, sondern auch eine Erlebnisgastronomie aufzuweisen. Die Kataloge der Freizeitindustrie sind nur dann attraktiv, wenn sie Urlaubsspaß und Erlebnisferien anpreisen können. Alles, was Unterhaltung und Abwechslung, Spannung und Spaß vermittelt, ist heute gefragt.  

Wenn wir von Erlebnissen sprechen, verbinden wir mit diesem Begriff aber nicht nur Freizeit und Erholung, Urlaub und Abenteuer. Mittlerweile werden alle Bereiche menschlichen Lebens mit dem Erlebnisbegriff verknüpft, auch der religiöse Bereich, Religion und Glaube. Christsein und das Leben in Kirche und Gemeinde müssen Erlebnisse vermitteln, z. B. ein Gottesdienst ohne besonderen Gag zählt nicht mehr.  

Diese Ausrichtung der Menschen auf Erlebnisse ist nicht nur negativ zu bewerten. Das Streben nach Erlebnissen kann auch immer als ein unmittelbarer Ausdruck der Suche nach Glück und Sinn gedeutet und somit als eine verborgene Sehnsucht nach einem Leben in Fülle verstanden werden. Aber allzu oft geraten viele Zeitgenossen in die Gefahr, sich vorschnell mit Erlebnissen abspeisen zu lassen, die dieses Verlangen nur vordergründig stillen. Sie geben sich mit dem kleinen Glück des Alltags zufrieden. Sie sind froh, wenn sie ohne großen Aufwand und Mühe möglichst problem- und konfliktlos ihren Hunger nach Leben in einer oft sehr oberflächlichen Weise stillen können. Dabei müssen Menschen häufig schmerzlich feststellen, dass sie, je vordergründiger sie Erlebnisse zum alleinigen Sinn ihres Lebens machen, am Ende umso enttäuschter sind, wenn das gewünschte und sehnlichst erhoffte große Glück letztlich doch ausbleibt. Denn kaum hat das Erlebnis begonnen, taucht schon bald die Frage auf, welches neue Erlebnis ansteht, damit man sich nicht mit der Leere und Langeweile der neuen Situation auseinandersetzen muss. Es entwickelt sich ein Erlebnisstress, der den Menschen unter Druck setzt, sein ganzes Leben auf Erlebnisse hin zu orientieren, um so nichts zu verpassen und nicht zu kurz zu kommen. Zur entstehenden Angst vor der Leere und Langeweile gesellt sich die Angst, nicht mehr „in“ zu sein, wenn man nicht mehr genügend Geld und Kraft hat, den gesellschaftlich verordneten Erlebnisstress mitzuhalten.  

Die gekauften und oft noch so schön arrangierten Erlebnisse lösen letztlich nicht das ein, was sie versprechen. Es bleibt der schale Geschmack, dass wir das Leben in Fülle nicht selber machen können. 

In einer solchen Situation ist zwar nicht das Leben, aber sein tiefster Sinn bedroht. Wir amüsieren uns zu Tode, Menschen, die ausschließlich auf Erlebnisse fixiert sind, um in ihnen das Glück des Lebens zu finden, geraten so in eine tiefe Krise, letztlich in eine Sinnlosigkeit. Am Ende steht dann die bittere Einsicht, dass sich bei noch so viel Geschick schließlich das Glück doch nicht kaufen und nicht inszenieren lässt. Beständiges Glück, Leben in Fülle, Erfüllung des Lebens sind und bleiben ein Geschenk Gottes. Das ist die zentrale Botschaft des heutigen Evangeliums. 

So will uns Jesus in seiner Brotrede kritisch gegenüber einer Gesellschaft machen. Die ihr Heil ausschließlich auf Erlebnisse, auf äußerliches Wohlbefinden setzt. Er will uns skeptisch machen gegenüber den vielfältigen Versprechungen einer Erlebnisgesellschaft. Dabei hat er nichts dagegen, wenn wir Menschen neben unserer Arbeit Unterhaltung und Erholung suchen. Er will sogar, dass wir die Früchte unserer Arbeit genießen, aber uns nicht allein von diesem vergänglichen „Brot“ ernähren. Er fordert uns heraus, unser Leben nicht von der Quantität und dem Grad des Erlebnisses abhängig zu machen, sondern offen zu sein für das Brot, was nicht vergänglich ist. Es geht ihm darum, über die Sättigung des täglichen Hungers hinaus noch hungrig zu sein für das Brot des Lebens, das vom Himmel kommt. Jesus präsentiert sich als dieses Brot vom Himmel, als diese Speise, die nicht vergänglich ist. Er tut dies, indem er auf seinen Vater und auf sich verweist. 

Wir sollen unsere tiefsten Sehnsüchte und Wünsche, unser gesamtes Leben an festmachen und uns nicht gedankenlos vom Strom der Erlebnisgesellschaft mitreißen lassen. Er schenkt uns das wahre Brot vom Himmel, um uns allen ein Leben in Fülle zu geben. Er will uns wirklich satt machen. Er bietet sich selber an, indem er sagt: „Ich bin das Brot des Lebens; wer zu mir kommt, wird nicht mehr hungern, und wer an mich glaubt, wird nicht mehr durstig sein.“ Dieses Brot vom Himmel als Gabe Gottes an uns Menschen kann man sich nicht durch Arbeit und Leistung verdienen oder durch Geld in Form von Erlebnissen erkaufen. Einzig und allein wird hier von uns gefordert: Wir sollen uns vertrauensvoll der Wirklichkeit Gottes, die in Jesus Christus offenbar geworden ist, öffnen. Wir sind eingeladen, bereit zu sein. Unsere leeren Hände auszustrecken, um sie von Gott, der in Jesus Christus unser Bruder geworden ist, füllen zu lassen.  

Wenn wir uns als einzelne und als Gemeinde auf diesen Jesus immer wieder einlassen, sein Brot, was nicht vergänglich ist, uns in der Feier der Eucharistie erneut schenken lassen, dann werden wir durch solche Begegnungen und Zeichen der Zuwendung grundlegende Erfahrungen mit Gott machen, die über unseren Tod hinaus Bestand haben. Lesen und Hören des Wortes Gottes, Gebet, Gottesdienst sind Momente, wo uns dieses Brot geschenkt wird.  

Oft finden Menschen erst durch schmerzliche Erfahrungen von Ohnmacht und Ausweglosigkeit, von Leere und Sinnlosigkeit den Glauben an Jesus und folgen seiner Einladung. Aber in unserer Zeit machen sich viele Menschen auf den Weg, aus einer erlebnisfixierten Gesellschaft auszusteigen, um nach grundlegenden Erfahrungen zu suchen. Sie lassen sich auf tiefergehende religiös-spirituelle Erfahrungen ein und sind bereit, sich im Glauben Gott, dem Vater Jesu Christi, zu öffnen. Dass der Mensch nicht vom Brot allein leben kann, wird trotz einer scheinbar rein materialistischen Einstellung in unserer Gesellschaft vielen Menschen immer deutlicher. Gerade junge Menschen suchen nach „mehr“ als nur nach materiellen Werten, sie sind auf der Suche nach geistlichen Erfahrungen, nach einer Nahrung, die nicht nur kurze Zeit sättigt, sondern in Krisen und schweren Zeiten, ja sogar über den Tod hinaus Kraft gibt und stark macht. Der ökumenische Jugendtreff in Taizé als spirituelles Begegnungszentrum sei nur als Beispiel in diesem Zusammenhang genannt. 

Das Verlangen nach einem tragenden Lebenssinn und nach Leben in Fülle ist in unserer Gesellschaft unübersehbar geworden. Häufig fehlt es nur an glaubwürdigen Zeugen, die selber immer wieder nach dem Brot des Lebens, nämlich Jesus Christus selber, Hunger haben und sich nicht vorschnell mit dem vergänglichen Brot abspeisen lassen. Wir alle sind heute wieder eingeladen zur Feier des eucharistischen unseren Lebenshunger zu stillen mit dem Brot, das wir nicht selber machen können, sondern das Geschenk Jesu Christi ist als Zeichen der unendlichen Liebe Gottes zu uns Menschen. Dieses Brot macht uns hungrig nach Jesus Christus. Es sättigt nicht vordergründig, sondern hält unsere Sehnsucht nach einem Leben wach, das Gott uns in Jesus Christus schenken will, einem Leben in Fülle. Amen. 

 

P. Dr. Hermann Kochanek SVD † - [Anmerkung der Redaktion: Die von P. Kochanek verfasste Predigt wurde bereits veröffentlicht in: DIE ANREGUNG, Nettetal 1997/; S. 278-281]