22. Sonntag im Jahreskreis (B)

Predigtimpuls

Der Geist der Gebote Gottes geht mit den Generationen

1. Lesung: Dtn 4,1-2-6-8
Zwischengesang: www.antwortpsalm.de
2. Lesung: Jak 1.17-18.21b-22.27
Evangelium: Mk 7,1-8.14-15.21-23

Gebote Gottes – Gesetze ohne Gott

Wenn bei uns ein Minister vereidigt wird, dann schwört er auf die Verfassung. Er kann, muss nicht, hinzufügen: „So wahr mir Gott helfe.“ Dieser einstmals fundamentale Satz ist zu einem Anhängsel, zu einem Zierrat ins Belieben des Einzelnen gestellt, der nicht weiter stört. Wenn aber ein Gesetzesentwurf zum Schutz des Lebens oder der Ehe oder zur gerechten Verteilung der Güter zur Debatte steht, heißt es: Lass Gott draußen. Wir regeln das gesellschaftliche Leben selber nach Vernunftargumenten, da braucht es Gott nicht. Welche Rolle er dann in deinem privaten Leben spielt, ist deine Sache.

In einer multireligiösen Gesellschaft braucht es fürwahr einen neutralen Raum, in dem religiöse Traditionen sich verständigen und Regelungen für das Zusammenleben in Frieden vereinbaren können. Das muss noch nicht Gottlosigkeit bedeuten, obwohl häufig darin Gottbeseitigungstendenzen um der absoluten menschlichen Autonomie willen zu erkennen sind. Man kann allerdings auch laut und öffentlich mit den Lippen Gott bekennen, aber praktisch so handeln, als ob es Gott nicht gäbe.

Da kann uns die Lesung aus dem „überarbeiteten und neu aufgelegten Gesetzbuch des Mose“ (Deuteronomium) berühren. Es wurde herausgegeben, um das zerstreute Volk Israel neu zu sammeln, zur Selbstbesinnung zu führen und seine Identität zu stärken. Es bestand die Gefahr, im (unfreiwilligen) Zusammenleben mit den vielen Kulturen und Religionen, sich selbst zu verlieren und aufzulösen.

Der Widerspruch zwischen Lippenbekenntnis und Handeln wurde von den Propheten oft heftig angeklagt. Die Nachdenklichen quälten sich in der Trauer um den Verlust von Staat und Heimat mit der Frage: Wie konnte es soweit kommen, dass wir an den Rand des totalen Untergangs gelangt sind. Reuevoll bekennen sie den Widerspruch zwischen Bekenntnis und Praxis als Ursache. Und daraus erwuchs der Vorsatz: Wir müssen es besser machen. Wir müssen treu zu unserem Ursprung stehen, zur Berufung durch Jahwe, unserem Gott. Wir müssen treu nach seinen Geboten leben, die er uns zu unserem Besten mit auf den Weg gegeben hat.


Gebote Gottes als Zeichen seiner Nähe

Die Propheten/Priester, die die Neuauflage des mosaischen Gesetzes besorgt haben – wir kenne sie im Einzelnen nicht – schwingen nicht den moralischen Hammer. Sie werben um Wertschätzung der Gesetze Gottes, beschwören ihre Volksgenossen eindringlich, sich ihrer Herkunft, ihrer Identität, ihrer Sendung bewusst zu sein: Wir beziehen unsere Identität als Volk, die Einmaligkeit unserer Kultur aus unserem Verhältnis zu Jahwe, der einzig wahrer Gott und Schöpfer der Welt ist. Von ihm haben wir die Gesetze, nach denen wir leben wollen, die weise sind, angelegt auf ein gutes langes Leben.

Wir dürfen nicht Menschen anderer Religionen und Weltanschauungen verachten. Wir müssen ihnen vorleben, dass die Gesetze Gottes zu einem nachhaltig guten Leben führen. Im konfliktreichen, auf Frieden ausgerichteten Zusammenleben soll ihnen klar werden, wie weise und gebildet das Volk Gottes ist, wie nahe ihm Gott ist, wie es seine moralische und gestalterische Kraft aus dieser Gottesnähe bezieht. Die Herausgeber der Gesetzesnovelle lassen Moses sprechen. Er dient ihnen als Garant für die Wichtigkeit ihrer Worte. Ihr Werk spiegelt die Zeitumstände des Exils und der Zeit danach. Moses aber war schon gut ein halbes Jahrtausend tot.


Der Geist der Gebote Gottes geht mit den Generationen

Die Herausgeben wissen: Es kommt nicht auf den Buchstaben des Gesetzes an, der aus einer bestimmten Zeit stammt. Das krampfhafte Festhalten daran lässt das Eingehen auf eine neue Situation nicht zu, schnürt gesellschaftliche Weiterentwicklung ab, erstickt Lebendigkeit. „Der Buchstabe tötet“, bringt es der Apostel Paulus auf den Punkt. Es kommt auf den Sinn des Gesetzes an, der dem Leben dient. „Der Geist macht lebendig“, fährt Paulus fort. So erklingt auch in dieser überarbeiteten Neuauflage die lebendige Stimme des Moses, der im Auftrag Jahwes die Gesetze vermittelt hat. Treue ist nicht, das Überlieferte nur zu wiederholen. Sie bewährt sich vielmehr darin, das Überlieferte in einer neuen Situation neu zu sagen: Sei treu, sag's neu! Nicht irgendwie, den augenblicklichen Interessen untergeordnet, sondern im ursprünglich gemeinten Sinn. Wie in der Ehe, wenn das Schmuse-Ja in verändernder Entwicklung in ganz anderen Tonlagen bekannt werden muss. 

Wir leben in einer Gesellschaft, in der die Gebote Gottes scheinbar abgeschrieben sind. Sie bleiben aber überlebensnotwendig. Mit dem moralischen Hammer können wir ihre öffentliche Geltung nicht wieder herbeizwingen. Religionssoziologischen Untersuchungen zeigen, dass die Europäer keineswegs glaubenslos sind. Sie sind vor lauter Geschäftigkeit und spaß eher religionsvergessen, nehmen aber doch Religion für sich in Anspruch, bloß orientieren sie sich dabei an allen möglichen Zeitströmungen, zimmern sich ihre religiösen Anschauungen und moralischen Standarts nach eigenem Geschmack. Die Kirche meiden sie, bewerten sie als ausgedient und hoffnungslos rückständig. Als kirchentreue Christen gewinnen wir Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft wieder aus der Nähe zu Gott und der Treue zu seinen Geboten, treu aus dem Geist des Ursprungs, der im Evangelium atmet.

 

P. Dr. Gerd Birk SVD