23. Sonntag im Jahreskreis (B)

Predigtimpuls

Sprachlos

1. Lesung: Jes 35,4-7a
Zwischengesang: www.antwortpsalm.de
2. Lesung: Jak 2,1-5
Evangelium: Mk 7,31-37

Was uns Menschen vor allem auszeichnet, das ist die Sprache. Aber was ist eigentlich, wenn uns im Alltag die Worte fehlen, das auszudrücken, was uns wirklich bewegt, weil wir es nie richtig gelernt haben? In jungen Jahren schon haben viele Menschen hören müssen: „Wenn Erwachsene reden, haben Kinder den Mund zu halten.“ – „Sei nicht so vorlaut.“ – „Deine Meinung ist nicht gefragt.“ Oft prägt sich dem Kind dann ein: das, was ich sagen will, hat wahrscheinlich keine Bedeutung oder ist nicht wirklich wichtig. So kommt es, dass sich diese Menschen schon recht früh in ihrem Leben der zwischenmenschlichen Kommunikation und damit der Gemeinschaft verschließen, nicht mehr über sich, ihre Meinung oder ihre Gedanken sprechen. Auch und gerade im Bereich der Gefühle ist das oft der Fall: über Ängste, über Sexualität, über Aggressionen und Wut zu sprechen kann dann sehr schwer sein. Unausgesprochene Regeln des Gespräches, die es uns im Alltag so schwer machen, können ein weiteres Hemmnis sein, miteinander ins Gespräch zu kommen: „Sage von dir nie etwas von dem, was dein Leben wirklich ausmacht – du könntest dich ja blamieren.“ Oder: „Äußere kein Problem, das du hast – du zeigst dich damit nur als schwach und gibst dem anderen Macht über dich!“

„Taub“ und „stumm“, das ist also nicht nur ein Krankheitsbild, dass bei einem Facharzt behandelt werden muss. Das ist auch ein Ausdruck für Menschen, die sich schwer tun, über sich und von sich zu reden. Deswegen lohnt sich der Blick ins heutige Evangelium, in dem von der Begegnung eines Taubstummen mit Jesus berichtet wird. Wie heilt Jesus diesen Menschen? Was war ihm wichtig in der Begegnung mit ihm? Drei Dinge fallen mir auf:

  1. Jesus nimmt diesen Menschen aus der Menge heraus. Heraus aus dem Gerede der Menschen, damit er wieder zu sich kommt. Die Gedanken und Gefühle des Hilfesuchenden stehen an erster Stelle und nicht das, was andere über ihn denken. Jesus nimmt den Taubstummen als Person wahr, stellt sich ganz auf ihn ein, geht auf ihn ein und sucht größte Nähe. So macht er sich den Menschen vertraut. 
  2. Jesus legt die Finger in die Ohren des Taubstummen. Mit liebevoller, empathischer Zuwendung geht Jesus auf das ein, was diesen Menschen bedrückt, was ihm in den Ohren und auf der Seele liegt. Diesem Jesus geht es genau um das, was wir Menschen nicht hören wollen, für was wir kein Ohr haben, was wir gerne in Gesprächen mit anderen überhören. 
  3. Jesus berührt die Zunge des Taubstummen mit Speichel. Spüren sie, wie „intim“ Jesus hier mit dem Menschen wird? Wie nahe er ihn an sich herankommen lässt? Es scheint fast so, als ob Jesus dem Mann etwas von seinem eigenen Sprachvermögen weitergibt und dem anderen seine Worte, seine Sprache, seine Gedanken, seine Hoffnungen, sein Vertrauen in den Mund legt. Es ist so, als ob Jesus dem Menschen sagen will: „Du musst nicht stumm bleiben, du kannst sprechen, du kannst dich öffnen. Und wenn du auch nur stammeln kannst, ich leihe dir meine Sprache. Du bist fähig das zu sagen, was in dir ist, was dich bewegt, was dich ausmacht.“


Auf den anderen zugehen, auf seine Sprachlosigkeit eingehen, ihn verstehen, mit eigenen Worten den anderen zur Sprache bringen und ihm auch körperliche Zuwendung schenken: das hat Jesus getan und so den Weg geebnet zur Veränderung dieses Menschen. Jesus bringt in dieses Beziehungsgeschehen zu dem Taubstummen sein ganzes Vertrauen zu Gott mit hinein. Er vertraut darauf, dass Gott für diesen Menschen den Himmel öffnet, dass er ihm die Möglichkeit gibt, wieder der zu sein, der von sich und über sich reden kann.

Jesu vertrauensvolle Zuwendung zu diesem Menschen hat dazu geführt, dass er aus seiner inneren Vereinsamung herausgekommen ist, dass sich für ihn der Himmel geöffnet und er selbst sich der Umwelt gegenüber damit geöffnet hat. Genau das kann auch uns im alltäglichen Miteinander gelingen, wenn wir einander offen und ehrlich gegenüberstehen, wenn wir uns der eigenen Wahrheit nicht verschließen und nicht taub werden für den Hilferuf anderer. Wo das geschieht, da berühren sich auch heute noch Himmel und Erde, da wird dieses Evangelium für Menschen auch heute zu dem, was es in Wahrheit ist: eine frohe, eine frohmachende Botschaft für ihr Leben.

 

P. Norbert Cuypers SVD