Allerheiligen (H)

Predigtimpuls

.. stieg er auf einen Berg… und lehrte sie“ Mt 5,1-2

1. Lesung: Offb 7,2-4.9-14
Zwischengesang: www.antwortpsalm.de
2. Lesung: 1Joh 3,1-3
Evangelium: Mt 5,1-12a

Zum Kantilieren des Evangeliums: www.stuerber.de

Was ist das Kernstück des christlichen Glaubens? Es scheint, dass das heutige Fest eine Antwort darauf bietet; denn der hl. Augustinus hat diese Frage mit dem Hinweis auf das heutige Evangelium – die Bergpredigt – beantwortet. Er verweist auf die Verheißung in der „messianischen Thora … der Bergpredigt Jesu“ in dem Wort: „Denn sie werden Gott schauen“ (V8) – die Gottesschau der Seligen. 

Schon er hat diesem Teil des Evangeliums der großen Reden am Anfang des Matthäusevangeliums auch nach seinem Ort den Namen Bergpredigt gegeben. Seit dem 16. Jh. ist dieser schon in die Theologie eingefügt. Man geht damit aber auch über den eigentlichen Abschnitt des Evangeliums hinaus und meint damit die Kurzschrift, den Kern der Botschaft Jesu, das Eigentliche, was Jesus wollte. 

Die Seligpreisungen lassen im Wesentlichen Züge der christlichen Existenz erkennen und können so auch Weisung geben im Dunkel des Widerspruchs. Sie sind Beschreibung der Berufung des Christen. 

Die Seligpreisungen stehen im Gegensatz zur „Weisheit der Welt“ (1Kor 1,20). Materialismus, Vergötzung des Reichtums, Geschmack an der Macht, ungeordnetes Konkurrenzdenken, Gesetz des Erfolges…, all das gab es in der Welt Jesu. Und all das gibt es auch heute in unserer Zeit. Im Reich Gottes gibt es eine Umkehr der Werte: 

Die Segnungen des Reiches in den Verheißungen an die Armen und Kleinen, an die Gewaltlosen und Trauernden, an jene, die sich darum bemühen, jenseits der Satzungen richtig zu leben, an die einfachen Menschen und an jene, die Mitleid haben, die Gewalt zurückweisen und Versöhnung suchen –sie sind die Gesegneten und Glücklichen. 

Jesus stürzt die üblichen Formeln des Glückes um, um eine neue Sicht vorzulegen und Weisungen zu geben, die das eigentliche und unsterbliche Leben schaffen. 

Hier liegt aber auch nochmals die Antwort auf die Frage nach dem Kern der Botschaft Jesu, die nicht durch unsere persönliche Vorliebe, durch zeitbedingte Einfärbungen gezeichnet ist. Damit wird man dem Ganzen der biblischen Botschaft gerecht. 

Was hier beschrieben und verkündet wird, ist der Anbruch des Reiches Gottes, das Thema des Neuen Testamentes und der Kern des christlichen Glaubens. Es ist das Leitmotiv, an dem sich alles ausrichtet. Was Inhalt und Honen und Ziel des Reiches Gottes ist, wird in der Bergpredigt beschrieben. Wenn unser Leben im Reich Gottes nicht nur das Leben glücklicher Sklaven sein soll, zufrieden durch Sicherheit und ausreichende Versorgung, aber letztlich doch um das eigene Leben, um unser Selbst betrogen, dann müssen wir und Gott darin zum Ziel kommen, es muss in ihm alles vernichtet werden, was uns kaputtmacht, und das Herrschen Gottes muss identisch sein mit unserem eigenen Leben. 

Das Reich Gottes meint nicht nur individuelle Gottesgemeinschaft im Jenseits (im Himmel), sondern neues Sozialleben. Die Gemeinde lebt dieses neue Sozialleben nicht nur als Insel und Kloster in den „eigenen vier Wänden“, sondern als nach außen wirkendes Licht, Salz und Sauerteig (Mt 5,13-16; 13,33). 

In Kamerun ziehen einige Gemeinden nach dem Gottesdienst auf den Dorfplatz und singen und tanzen dort in aller Öffentlichkeit, singen und beten. Es ist gelebte Gemeinschaft vor allen. Auf Befragen erklären diese Gemeinden, dass sie so Mission treiben, auch wenn sie kein Wort der Predigt verkünden. Das Weitergeben der Botschaft geschieht durch ihre Verkündigung wie durch den Vollzug des anderen, des guten Lebens. Dadurch wird die Reich-Gottes-Botschaft schon jetzt zur kritischen Anfrage und zum Angriff auf das schlechte und gottwidrige Leben des einzelnen wie der Gesellschaft. 

Das Heil wird gegenwärtig, die messianische Zukunft hat begonnen. Im Auftreten Jesu nimmt sich Gott selbst seines Volkes mit letztgültigem Recht an. Dies ist für das Verstehen der Weisung Jesu wesentlich, es bestimmt die Worte und das Handeln Jesu durchgängig. 

Im Verstehen der Weisung Jesu geht es darum, die Zeichen der Zeit zu erkennen, unser Heute nicht gedankenlos und ziellos zu vergeuden, sondern aus seiner Fülle zu erneuern und zu gestalten. Aus der Nähe Gottes ist das neue Leben für alle möglich. Es darf und es soll gelebt werden. Die letzte Chance darf und soll nicht vertan werden. 

Dabei hat diese Predigt eine klare und eindeutige Tendenz. Sie bezieht sich zunächst auf die „Armen“. Im umfassenden Sinne des biblischen Wortes „arm“ sind sowohl die wirtschaftlich wie auch religiös Benachteiligten gemeint. Jesus gesellt sich tatsächlich zu den Niedrigen, Rechtlosen, Diskriminierten und Verachteten. Dieser Zug lässt sich nicht aus den Evangelien weginterpretieren. Hier liegt eine maßgebende und durchgehende „Weisung Jesu“ für uns vor. Das Evangelium bedeutet Parteinahme. 

Das bedeutet für die Kirche und den einzelnen Christen, dass er nach außen wirken muss – auch in politischer Verantwortung. Nicht als eine eigene Partei, sondern in Einflussnahme auf die sozialen und politischen Ordnungen, auf die staatlichen Gesetze, als der Auftrag der Sendung, die Werte umzuwerten. Die christliche Verantwortung ist an die Botschaft vom Reich Gottes gebunden. Es geht auch um irdische Ordnungen, die dem Menschen besser dienen. Das ist das Kriterium für den christlichen Einsatz im politischen Leben. Diese Parteinahme für die gesellschaftliche Gerechtigkeit und politische Freiheit ist eine kritische Parteinähme. Es handelt sich bei uns und den anderen immer noch um Menschen, die von den Bedingungen dieser Welt bestimmt und beeinflusst werden. Es geht nicht um einen Zustand, der dem Reich Gottes hier auf Erden entspricht, sondern um eine Bewegung und eine Annäherung an die zweite Bitte des Vaterunsers: „Dein Wille geschehe wie im Himmel so auch auf Erden!“ 

Vielleicht kann die folgende Erzählung die Bergpredigt und ihre tieferen Farben verdeutlichen. 

Eines Tages kam ein Rabbi zum Propheten Elija und fragte ihn: „Wann kommt der Messias?“ Der Prophet antwortete: „Mach dich auf den Weg und frage ihn selbst.“ Der Rabbi fragte: „Und wie soll ich ihn erkennen?“ Elija sagte zu ihm: „Er sitzt unter den Armeen und ist mit Wunden bedeckt. Während die anderen alle Wunden zugleich entblößen, bindet der Messias immer nur eine Wunde auf und verbindet sie dann wieder. Er sagt sich, vielleicht werde ich gebraucht, und dann darf ich keinen Augenblick verlieren.“ Der Rabbi ging und fand ihn und begrüßte ihn. Der Messias sagte: „Der Friede sei auch mit dir. Was willst du?“ Da fragte ihn der Rabbi: „Wann kommst du endlich? Wir warten schon so lange.“ Da erhielt er zur Antwort: „Heute.“ 

Er kam zu Elija zurück, und der fragte ihn: „Nun, hast du ihn gefunden; was hat dir der Messias gesagt?“ Der Rabbi sagte enttäuscht: „Der Messias hat mich betrogen. Er sagte, heute noch werde ich kommen. Aber er ist nicht erschienen, er hat nicht sein Wort gehalten.“ Darauf entgegnete ihm der Prophet: „Er hat dir nämlich gesagt: ,Heute, wenn ihr meine Stimme hört‘.“

P. Dr. Horst Rzepkowski SVD † - [Anmerkung der Redaktion: Die von P. Rzepkowski verfasste Predigt wurde bereits veröffentlicht in: DIE ANREGUNG, Nettetal 1990; S. 460-462]