Allerseelen

Predigtimpuls

Ein Tag der Erinnerung

1. Lesung: Jes 25,6a.7-9
Zwischengesang: www.antwortpsalm.de
2. Lesung: Phil 3,20-21
Evangelium: Lk 7,11-17

Allerseelen ist zunächst ein Tag der Erinnerung an die Toten. Hier tun sich erste Schwierigkeiten im heutigen Lebensgefühl auf. Die Würzburger Synode spricht in ihrem Glaubensbekenntnis „Unsere Hoffnung“ unter dem Stichwort „Auferweckung der Toten“ von unserer „Berührungsangst vor dem Tod überhaupt, unserer Fühllosigkeit gegenüber den Toten. Gibt es nicht zu wenige, die sich unter diesen Toten Freunde und Brüder bewahren oder gar suchen? Wer spürt etwas von ihrer Unzufriedenheit, von ihrem stummen Protest gegen unsere Gleichgültigkeit, gegen unsere allzu eilfertige Bereitschaft über sie hinweg zur Tagesordnung überzugehen?“ (I., 3.) 

Solche Suche nach den Toten wird sich zuallererst auf eine einfach menschliche Art und Weise vollziehen, wo die Toten erzählend einen Platz in unserem Leben bekommen. Der niederrheinische Schriftsteller Hanns Dieter Hüsch tut dass in seiner Autobiographie „Du kommst auch drin vor“ in einer Weise, die einen schmunzeln lässt und zugleich tiefste Sehnsüchte des Menschen zu Wort kommen lässt. 

„Onkel Peter zum Beispiel, der älteste Sohn meines Großvaters mütterlicherseits. War ein kühler Spötter, Sekretär bei einem Notar, aber auch Presbyter, hatte einen Sohn, Fritz, der später als Drogerist nach Braunschweig ging, und eine schöne Tochter, Hanni, die mit Eugen Bargatzki verheiratet war und eine noch schönere Tochter, Hildegard. Alle schon tot. Aber alle schwirren immer wieder mal an meinem Gedächtnisfenster vorbei, winken und rufen: Vergiss uns nicht. Oder sie rufen: Wir sind noch nicht tot, wir leben noch, solange du lebst. Und manchmal sitzen sie ganz plötzlich neben mir und sagen: Wann kommsse denn mal wieder nach Trampet, oder nach Oestrum, oder nach Rumein, oder nach Kaldenhausen, kriess auch en lecker Tass Kaffee un en Schinkenbutteramm. Kannz doch mal vorbeikommen. Du musst doch auch mal an de frische Luft, kannz doch nicht ewig nur am Schreibtisch sitzen, dumme Jung. 

Das sind so Augenblicke, in denen ich noch mal die ganze Wärme meiner Kindheit spüre, und wo ich auf Intellekt, Geschmack, Wissen und Anspruch pfeife und mich furchtbar gern in das gemachte Bett meiner Jugend fallen lassen möchte und auf alles pfeife, was gerade so in der Weltgeschichte vor sich geht, und eigentlich zurück nach Hause will und doch nur auf die Friedhöfe gehen kann, vor den Gräbern hilflos stehe und mir vorstelle, wie sie jetzt wohl alle aussehen.“ 

Hüsch, H.D., Du kommst auch drin vor, Gedanken eines fahrenden Poeten, S. 32-33 

Hier deutet sich vorsichtig ein „Leben nach dem Tod“ an, es werden nicht vorschnell perfekte Glaubensformeln verwendet, sondern menschliche Anbahnungen des Glaubens bekommen hier Raum. Sehnsucht wird wach. 

Die christliche Verkündigung wird einen Schritt weitergehen; sie weiß bei aller Hilflosigkeit angesichts der Gräber um eine Botschaft, in der die Sehnsucht nach Heimat und endgültiger Geborgenheit eine bleibende Antwort bekommt. Der Umgang mit den Toten ist, christlich gesehen, geprägt von dieser Sehnsucht nach bleibender Gemeinschaft mit ihnen. Das Gebet für die Toten ahnt schon jetzt etwas von dieser Gemeinschaft und erbittet sie als endgültige Wirklichkeit. 

Die geradezu flehentlich bewegenden Worte Jesu, so als wüsste er um unsere Schwierigkeiten mit dem „ewigen Leben“, wollen zum Glauben bewegen. Es geht dämm, sich vom flehenden, vertraulichen, gut zuredenden Klang seiner Worte bewegen zu lassen zum Glauben an diese endgültige Gemeinschaft mit ihm und untereinander: Euer Herz lasse sich nicht verwirren. Glaubt an Gott und glaubt an mich. Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen. Wenn es nicht so wäre, hätte ich euch dann gesagt: Ich gehe, um einen Platz für euch vorzubereiten? Wenn ich gegangen bin und einen Platz für euch vorbereitet habe, komme ich wieder und werde euch zu mir holen, damit auch ihr dort seid, wo ich bin (Joh 14,1-3). 

Damit auch ihr dort seid, wo ich bin – was wird dort sein? Eine Antwort deutet sich an im Schluss der Novelle „San Luis Rey“ von Thornton Wilder. Die Novelle berichtet vom Leben und Sterben von fünf Menschen, die durch einen Zufall an einer Stelle ihrer unterschiedlichen Lebenswege zusammen kommen und dort durch einen Unfall alle ums Leben kommen. Die Frage, die sich wie ein roter Faden durch die Erzählung zieht, ist: Was ist der Sinn solchen Lebens und Sterbens, was ist überhaupt Sinn von Leben und Sterben? Eine Frau, die mit all diesen Menschen in Berührung kam, versucht zum Schluss eine Antwort zu geben: 

„Doch noch während sie sprach, gingen ihr andere Gedanken durch den Sinn. ,Schon jetzt‘, so dachte sie, ,erinnert sich fast niemand mehr Estebans und Pepitas, als nur ich. Camilla allein gedenkt ihres Onkels Pio und ihres Sohnes; diese Frau ihrer Mutter. Bald aber werden wir alle sterben, und alles Angedenken jener fünf wird dann von der Erde geschwunden sein, und wir selbst werden für eine kleine Weile geliebt und dann vergessen werden. Doch die Liebe wird genug gewesen sein; alle diese Regungen von Liebe kehren zurück zu der einen, die sie entstehen ließ. Nicht einmal eines Erinnerns bedarf die Liebe. Da ist ein Land der Lebenden und ein Land der Toten, und die Brücke zwischen ihnen ist die Liebe – das einzig Bleibende, der einzige Sinn.‘“ 

Diese Liebe, die uns alle, die Lebenden und die Toten, in Christus verbindet, das einzig Bleibende, der einzige Sinn, lasst uns jetzt feiern! Amen. 


P. Hans Peters SVD - [Anmerkung der Redaktion: Die von P. Peters verfasste Predigt wurde bereits veröffentlicht in: DIE ANREGUNG, Nettetal 1998; S. 439f]