22. Sonntag im Jahreskreis (C)

Predigtimpuls

„Wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt…“ – Bescheidenheit heute

1. Lesung: Sir 3,17-18.20.28-29
Zwischengesang: www.antwortpsalm.de
2. Lesung: Hebr 12,18-19.22.24a
Evangelium: Lk 14,1.7-14

Gastfreundschaft in einer mobilen Gesellschaft 

„Gastlichkeit“ und „Gastfreundschaft“ – diese beiden Worten fehlen heute fast in keinem Werbekatalog für Urlaubsreisen. Beide Worte haben bei uns einen guten Klang. Wenn wir nämlich Gastlichkeit und Gastfreundschaft erfahren, weichen Angst und Sorge um das Notwendigste; da fühlen wir uns auch in der Fremde geborgen. Wir leben heute in einer Welt der Fremden, einer Welt von Menschen, die unterwegs sind – geschäftlich oder im Rahmen ihrer Ausbildung, als Touristen, Soldaten, als Gastarbeiter, Flüchtlinge oder Auswanderer-jedenfalls aktuell abgeschnitten von ihrer Heimat, ihrem kulturellen, sozialen Hinterland, von ihren Familien und Freunden, damit aber auch abgetrennt von ihrer Biografie, ihrer eigenen Vorgeschichte und so auch oft von ihrem Gott. Wir leben in einer Welt der Fremden, denn die Nöte des modernen Menschen – Anonymität, Angst, Einsamkeit, Orientierungsverlust – sind in weitem Umkreis eine Folge der horizontalen und der vertikalen Mobilität unserer Gesellschaft, eine Mobilität, die wir uns nicht aussuchen können, sondern die ihrerseits Ausdruck eines umfassenden sozialen Wandels ist. Das holländische Wort für Gastfreundschaft lautet Gastvrijheid. Es weist hin, dass es darum geht, dem Gast Freundschaft anzubieten, ohne ihn zu binden, und eine Freiheit, ohne ihn allein zu lassen. Anders gesagt: Gastfreundschaft ist nicht dazu da, um Menschen zu andern, sondern ihnen Raum zu bieten, in dem Veränderung für sie möglich wird. 


Jesus ist zu Gast 

Jesus ist bei einem Pharisäer eingeladen. Dabei beobachtet er, wie sich alle auf die Ehrenplätze drängen, weil jeder meint, ein bisschen mehr zu sein als sein Nachbar. Das wirkt nicht nur auf Jesus abstoßend. Außerdem fällt ihm auf, dass die Tischgemeinschaft ausschließlich aus reichen Verwandten, Freunden und Nachbarn seines Gastgebers besteht. Der Pharisäer hat also nur Leute eingeladen, die es sich leisten können – und nach den Spielregeln des gesellschaftlichen Lebens dazu verpflichtet sind -, sich für diese Ehre zu revanchieren. Mit anderen Worten: Man bekommt an diesem Tisch nichts geschenkt. Und das ist vielfach bis heute so. Jesus als der großzügig Schenkende fühlt sich in dieser Gesellschaft nicht wohl. Und das sagt er dann auch dem Gastgeber recht deutlich: „Wenn du ein Essen gibst. Dann lade Arme, Krüppel, Lahme und Blinde ein. Du wirst selig sein, denn sie können es dir nicht vergelten…“ Wir sollten ahnen, wer diese Gäste heute sein könnten angesichts der vielen Menschen, die auf der Flucht in unser Land strömen. Und dann folgt das uns bekannte Wort aus dem Magnifikat: „Wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt. Wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht.“ Jesus ist ständig den untersten Weg gegangen, indem er sich beanspruchen ließ von Suchenden, Sündern, Kranken und Kindern. Für ihn war niemand fremd – selbst nicht der Samariter, der eigentliche Feind der Juden. Damit macht er deutlich: Gott ist so. Gott ist wie ein Diener. Er macht das Dienen groß, so wird der Diener gottähnlich. 

Und dann wird jedes Streben nach Selbsterhöhung und Macht ein Ausdruck der Gottesfeme, des Widergöttlichen. Und damit sind wir bei der Ursünde: Ich will nicht dienen. Machtstreben und Herrschsüchtigkeit sind schlimme moderne Krankheiten. Die Folge: Die Menschen erniedrigen sich gegenseitig mit Wort und Tat. 

Und so geht es im Gleichnis gar nicht um erste und letzte Plätze, um irdische Tischordnungen. Es geht um die Bekehrung der Herzen.

Bescheidenheit = Bescheid-Wissen 

„Mein Sohn, bist du reich, so sei doch bescheiden und du wirst geliebt werden.“ So heißt es in der heutigen Lesung. Hier ist nun Mut gefragt: Mut, anders zu sein; Mut, gegen den Strom zu schwimmen; Mut, Spott einzustecken; Mut, gegen Konventionen zu verstoßen. Denn wir werden am Ende der Tage nur eine Frage beantworten müssen: Hast du deinen Bruder Abel wahrgenommen, beschützt, besucht, unterstützt? Die berechnende Vernunft mag da Angst haben, ausgenutzt zu werden; ja, das mag vorkommen. Aber wenn ich mich ausnutzen lasse zum Nutzen anderer, dann habe ich Jesu Botschaft auch heute begriffen. 

Die Mahnung unserer Lesung verdanken wir einem Manne, der um 180 v.Chr. Als Weisheitslehrer in Jerusalem wirkte. Sein Ziel war es, opportunistisch denkenden Landsleuten, die nur allzu schnell bereit waren, mit der übermächtigen hellenistischen Kultur und ihrer Ideologie Frieden zu schließen, ein Dokument des Glaubens entgegenzusetzen. Die insbesondere vom griechischen Denken geprägte Ethik basierte auf dem Wert- und Selbstgefühl des Menschen. Sie wusste zwar um die geschöpfliche Begrenztheit und die damit verbundene Abhängigkeit von den Göttern, doch Demut und Bescheidenheit als Tugend war ihr fremd. Ist es heute anders? Selbstbewusstsein und Selbstverwirklichung gelten mehr als Selbstbescheidung und Zurückhaltung, und die Pflege des eigenen Image mehr als die Haltung der Bescheidenheit, die nicht selten als realitätsfremd und Mangel an Selbstvertrauen ausgelegt wird. 

Im Wort „Bescheidenheit“ steckt das Wort „Bescheid“. Wer also bescheiden ist, der weiß Bescheid. Er hat einen klaren Blick und versteht, sachlich zu urteilen. Was möglich und nicht möglich ist, was geht und nicht mehr geht. Er weiß auch „Bescheid“ über sich und seine Grenzen; von daher kann er mit ihnen leben und er kann mit Humor über sich selber lachen. Das Gegenteil ist Wichtigtuerei dessen, der alles besser weiß. Er ist und bleibt ein unangenehmer Zeitgenosse. 


Ein Lob für die „Dummen“

Ja, hätten wir die sogenannten „Dummen“ nicht! Sie sind da, wenn jemand gebraucht wird. Sie sind die Leute, die eine Gemeinde lebendig halten. Ohne die »freiwillige Feuerwehr‘, ohne das Rote Kreuz und viele andere Organisationen, ohne die vielen ehrenamtlich Tätigen wäre eine Gemeinde tot. Auch wir erleben in unserem Schulalltag: Die Dummen, die immer Einsatzbereiten garantieren ein angenehmes, abwechslungsreiches Schulleben. Diese Menschen sind „dumm“. Aber beliebt. Sie haben etwas, was die „Klugen“ nicht haben: Das Gefühl, für etwas gut zu sein. Und solche Leute haben meist keinen Bedarf, über Sinnkrisen nachzudenken und zu jammern. Ihr Leben hat Sinn. 

Kardinal Ratzinger hat es einmal so formuliert: „Die Zukunft des Volkes Gottes der Kirche – wird auch dieses Mal, wie immer, von den Heiligen und Demütigen geprägt werden. Von Menschen also, die mehr wahrnehmen als die Phrasen, die gerade modern sind. Von Menschen, die deshalb mehr sehen können als andere. Weil ihr Leben weitere Räume umfasst. Selbstlosigkeit und Demut, die den sehen frei machen, werden nur erreicht in der Geduld der täglichen kleinen Verzichte, auf sich selbst. In dieser täglichen Passion, die den Menschen erst erfahren lässt, wie vielfach sein eigenes Ich ihn bindet, in dieser täglichen Passion – und nur in ihr – wird der Mensch Stück für Stück geöffnet. Er sieht nur so viel, soviel er gelebt und gelitten hat.“ 


Die Mutter Jesu und das „Magnificat“ 

Die Mutter Jesu sang in ihrer glücklichsten Stunde. „Er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen. Die Hungernden erfüllt er mit Gutem und lässt die Reichen leer ausgehen …“ Das ist Gott; er erwartet von uns dasselbe. Das wird uns dann bescheidener machen, weil wir eben Bescheid wissen, wes Gottes Kinder wir sind. Das wird uns helfen, uns dort einzusetzen und anzusiedeln, wo wir hingehören: als seine Geschöpfe, die seinen Namen tragen. Und nur so kann auf unserer Erde Krieg, Hass und Feindschaft vermieden werden, so dass wir Geschwister bleiben, die füreinander offen sind, die für jeden Menschen eine offene, gastfreundliche Türe haben. 


Ich schließe mit einem Gebet: 

Es gibt so viele, Herr, die uns brauchen, so viele, die wir kennen sollten, die uns begegnen und erwarten, dass wir ihren Namen wissen. 

Es gibt so viele, die bei uns eine offene Tür suchen, einen Stuhl und eine Stunde des Gespräches. Sie wollen, dass wir ihre Last mittragen, die Last auch, die sie sich selber sind. 

Wir sind wiederum Gast in deinem Hause. Du hast uns aufgenommen, du hörst uns, du trägst mit uns unsere Last –ja, du erträgst uns. Wir bringen dir alle, die zu uns kommen. Nimm sie und uns mit all ihrer und unserer Last!

 

P. Josef Schmitz SVD † - [Anmerkung der Redaktion: Die von P. Schmitz verfasste Predigt wurde bereits veröffentlicht in: DIE ANREGUNG, Nettetal 1998; S. 294-296]