23. Sonntag im Jahreskreis (C)

Predigtimpuls

Unternehmen Christsein

1. Lesung: Weish 9,13-19
Zwischengesang: www.antwortpsalm.de
2. Lesung: Phlm 9b-10.12-17
Evangelium: Lk 14,25-33

Das Unternehmerrisiko des Glaubenden 

Gian Lorenzo Bernini war oberster päpstlicher Baumeister zur Zeit des Barock. Das war eine Stellung von einzigartigem Ansehen und Einfluss. Wie genial er sein Handwerk beherrschte, sieht man heute noch an der überwältigenden Gestalt des Petersplatzes und seinen Schöpfungen im Petersdom. Ausgerechnet dem Genie ist passiert, wovor das heutige Evangelium warnt. Er hatte begonnen, am Eck der Fassade des Petersdoms einen Turm zu errichten, konnte ihn aber nicht vollenden. Das noch unvollendete Bauwerk musste wieder abgerissen werden. Der Grund dafür war nicht die falsche Berechnung der Kosten, wie beim Baumeister im Evangelium, sondern die falsche Berechnung der Tragfähigkeit der Fundamente. Der Turm drohte einzustürzen. Berninis Sturz von der Karriereleiter war tief. Sturzbäche von ätzendem Spott ergossen sich über ihn. Er verlor seine Stellung, zog sich ganz zurück, wurde krank. Es war eine persönliche Katastrophe. Aber er schaffte den Aufstieg noch einmal. 

Was muss den Theophilus und seine Leute, für die Lukas in seinem Evangelium alles nochmal sorgfältig der Reihe nach aufgeschrieben hat (vgl. Lk 1,1-4), umgetrieben haben? Der Evangelist hebt in seiner Schrift durchgehend die Güte und Barmherzigkeit hervor, warnt aber auf der anderen Seite fast anstößig scharf vor Reichtum und Bequemlichkeit. Wie ein strammer Moralist schreibt er, der keine Kompromisse duldet. Glaube hat etwas mit Unternehmerrisiko zu tun: Du musst wissen, was Du willst. Du musst kalkulieren. Du musst Dir klar werden über den Schaden, der entsteht, wenn das Projekt scheitert. Offensichtlich gab es zur Zeit des Lukas, eine Generation nach Jesus, Anlass zu ernster Sorge. Er muss nochmals einiges klarstellen, obwohl „schon viele es unternommen hatten, einen Bericht über all das abzufassen, was sich unter uns ereignet und erfüllt hat“ (Lk 1,1). 

War damals auch schon eine Mentalität aufgekommen, wie sie heute weit verbreitet ist? Ich trete mal aus der Kirche aus. Religion ist lästig, bringt mir nichts mehr. Oder: Wir lassen unser Kind mal taufen und firmen. Es kann ja nicht schaden und verpflichtet zu nichts. Das muss man ja nicht an die große Glocke hängen. Religion ist Privatsache. 

Das Bild vom Bauunternehmer, der einem Turm baut, ruft noch einmal Elemente ins Bewusstsein, die auch zum Glauben gehören. 

  • Ein Turm ist nichts fürs private Gärtlein. Das Bauwerk braucht Platz der Grundfläche und der Höhe nach. Es handelt sich nicht um Hobby-Bastelei. 
  • Ein Turm überragt andere Gebäude. Er markiert die Stadtansicht. Auch bei privater Nutzung ist er ein öffentliches Gebäude. 
  • Das Bauwerk entsteht unter den Augen der Öffentlichkeit. Interessierte, Gleichgültige, Gegner schauen zu. Das Bauwerk muss vor allen Leuten die Absicht des Bauherrn, die Nützlichkeit und die Verträglichkeit mit den umliegenden Gebäuden erweisen, es verändert ja die Stadt. 
  • Ein solches Werk fängt man nicht an im Sturm glühender Begeisterung mit aufgekrempelten Ärmeln. Da gehört zunächst ein Plan her, kühle Berechnung, Logistik. 
  • Das Werk wird mit dem Unternehmer identifiziert, ob er es will oder nicht. Schlamperei oder Aufgeben auf halbem Wege kann er sich nicht leisten. Seine Glaubwürdigkeit und sein persönliches Glück stehen auf dem Spiel. 

Alle diese Elemente finden sich auch im „Unternehmen“ Christsein. Das Werk steht für den Glaubenden, für seine Glaubwürdigkeit und sein Glück. Eine Bauruine trägt ihm den Ruf ein, dass er nicht ernst zu nehmen ist. Glaube ist nicht Seelenpflege in der Kuschelecke, sondern Bekenntnis, Einstehen für eine bestimmte Lebensauffassung und Lebenspraxis.

Der Turmbau der Glaubenden im Weichbild der Gesellschaft 

Glaube ist mehr als gutgläubiges, gedankenloses Mittrotten. Auch wenn das Vertrauen – die Hoffnung wider alle Hoffnung – über das Begreifen hinausgeht, wird der Verstand, das Kalkül nicht ausgeschaltet. Glaube braucht Klugheit und Strategie, damit man nicht scheitert. Das Heil ist nicht billig zu haben. Es fordert den Einsatz aller Kräfte des Menschen und die persönliche Verantwortung, auch wenn der Bauherr, Gott, unsichtbar dahintersteht. 

Glauben ist nicht wie die Ausführungen eines Hilfsarbeiters, der tut, was man ihm sagt, und am Schluss die Hand für den Lohn aufhält, mit der Sache aber sonst nichts zu tun hat. Der Glaubende ist wie ein Unternehmer, der in seinem Leben etwas hinstellt, das beäugt wird. Es steht für ihn etwas auf dem Spiel. Er übernimmt Verantwortung. Auch wenn es seine urpersönliche Entscheidung ist, lebt er nicht auf dem Mond, sondern in vielgestaltiger Gesellschaft. Da können die anderen nicht dran vorbeigehen, als wäre er Luft. 

Warum baut der Baumeister im Gleichnis einen Turm? Will der Evangelist darauf anspielen, dass gläubige Existenz die Linie der Hausdächer durchbricht? Dass die irdische Behausung zwar notwendig, aber nicht unsere eigentliche Heimat ist? Der Sonntag mit seiner Unterbrechung der industriellen Produktion, mit der Erinnerung an Ostern, Gottes ersten Tag der neuen Schöpfung, die für uns persönlich noch aussteht, ist so ein Turm im Stadtbild des Alltags. 

Mit dem Bild von einem Turm verbinden sich leicht Vorstellungen der Verteidigung. Ob der Evangelist damit auf die Situation der frühchristlichen Gemeinden anspielt? Sie waren eine Minderheit, die oft diskriminiert, vor Gerichte geschleppt, mit dem Tode bedroht wurde (vgl. Lk 12,4-12). In ähnliche Situationen kommen auch heute Christen schnell, wenn sie ihren Glauben ernst nehmen und öffentlich dafür einstehen. Meist sind es kleine Gruppen, die aufstehen gegen das Plattwalzen durch die Marktwirtschaft, die sich vor Flüchtlinge und Asylanten stellen, wenn sie parteitaktischen Machenschaften geopfert werden sollen. Solches Glaubensbekenntnis muss mit Zurechtweisung, Spott und nicht selten auch mit Morddrohungen rechnen. 

Glaube hat Konsequenzen. Konsequent glauben, macht das Leben aufregend. Wer nur um seine Besitzstandswahrung bekümmert ist, verspielt mit seinen Dividenden das Reich Gottes.

 

P. Dr. Gerd Birk SVD - [Anmerkung der Redaktion: Die von P. Birk verfasste Predigt wurde bereits veröffentlicht in: DIE ANREGUNG, Nettetal 1998; S. 344-346]