30. Sonntag im Jahreskreis (C) – Weltmissionssonntag

Predigtimpuls

Solidarität als Missionsprinzip

1. Lesung: Sir 35,15b-17.20-22a
Zwischengesang: www.antwortpsalm.de
2. Lesung: 2Tim 4,6-8.16-18
Evangelium: Lk 18,9-14

Am Missionssonntag 1992 steht das Gedenken an den 12.10.1492, das Datum der Entdeckung Amerikas, beherrschend und fordernd im Vordergrund. Und es fehlt nicht an mahnenden Stimmen, die sich der Verantwortung für die Begleiterscheinungen der Eroberungen und Entdeckungen stark bewusst sind. Man befürchtet, dass alles auf eine Glorifizierung der europäischen Expansion hinausläuft. Man verweist auf die zahlreichen Verbrechen der Invasoren, die verheerenden Auswirkungen der Inbesitznahme der „Westindischen Länder“ auf die einheimische Bevölkerung, die Zerrüttung der Sozialstrukturen und der ganzen Indio-Welt hin. Liest man das Bordbuch des Christopher Kolumbus (1451-1506) von seiner ersten Reise (1492/93), so zeigt sich, wie zwei Motive, ein religiöses und ein materielles, miteinander verknüpft und ineinander verwoben wie in einem Stoffgewebe, untrennbar und unlösbar zu einem Ganzen wurden. „Religiöses und Irdisches verwoben sich in seinem Geist. Gott und Gold umfasste er mit gleicher Gläubigkeit.“

Bedenken und Vorbehalte gegenüber der Mission erhalten neue Nahrung. Aber man sollte bei aller Treue zur Wahrheit, aller Ehrlichkeit nicht übersehen, dass Missionare immer auf die Seite der Unterdrückten standen, zu ihren Beschützern wurden. Dass es zu billig ist, in der Mission einzig eine willfährige Dienstmagd staatlicher Eroberungslüste zu sehen. Man sollte sehen, dass auf die Dauer in diesem Kontinent etwas wuchs, was zum Inbegriff des Christlichen und der Mission überhaupt wurde: die Solidarität mit den Menschen um Gottes und Christi willen.

1. Mission ist Solidarität 

Mission der Kirche ist nichts anders als Missio Dei und Missio Christi. Der Weg der christlichen Mission ist der Weg Gottes, der Weg Christi. Der Weg Gottes sowie auch der Weg Christi ist der Weg der Solidarität mit den Menschen. 

Mit“ jemand „solidarisch“ sein, heißt „für ihn eintreten“ „Solidarität“ ein Bestandteil des christlichen Glaubens. Die Menschwerdung Gottes ist der Ausdruck der Solidarität Gottes mit den Menschen. „Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat“ (Joh 3, 16). Der Opfertod Christi ist das Zeichen der Solidarität Gottes mit den leidenden Menschen. Solidarität ist also das Missionsprinzip Gottes. Die Christen in der Nachfolge Christi sind also gerufen, den Weg der Solidarität mit den leidenden und bedürftigen Menschen zu gehen, um ihren Missionsauftrag zu erfüllen. Solidarität wird also das Missionsprinzip der Christen sein.

2. Solidarität in Gemeinschaft 

Der erste Schritt zur Erfüllung der Mission Gottes ist der, dass er sich in die Gemeinschaft der Menschen begibt. Die Menschwerdung Gottes ist Gottes Gemeinschaft mit den leidenden und schuldigen Menschen. Die Liebe Christi fordert uns auf, die Mauem der Trennung niederzureißen, um in die Gemeinschaft der Menschen einzutreten. Die Gemeinschaft Christi ist aber keine Gemeinschaft von Heiligen, sondern eine heilwirkende Gemeinschaft. Sie ist also kein Selbstzweck; sie ist eine zum Heil wirkende Gemeinschaft.

3. Solidarität im Leiden 

Wir leben heute in einer Welt des Leidens. Zwei Drittel der Menschheit leidet unter Hunger. Der Hunger in der Welt nimmt zu, obwohl seit Jahren viele Projekte gegen diesen offenen und versteckten Feind laufen. Seit 1974 wurden laut FAO zehn Milliarden Dollar an Hilfe allein in die Sahelzone gesteckt, und der Hunger kam massiver und mächtiger zurück. Sind wir da nicht verpflichtet, zunächst bei uns zu fragen, ob wir wirklich den Hunger bekämpft haben – oder welche gefährlichen Schleusen wir eventuell geöffnet und dadurch den Hunger gefördert haben? 

Millionen Menschen sind obdachlos; die Zahl der Flüchtlinge nimmt von Tag zu Tag zu. Wir hören von schrecklichen Menschenrechtsverletzungen unter diktatorischen Regierungen, von barbarischen Auswirkungen menschenverachtender Machtpolitik. Die Diskriminierung der Frauen, der Unterdrückten setzt sich unvermindert fort. 

Täglich sterben 40 000 Kinder in „Entwicklungsländern“, vor allem wegen Unterernährung und Mangel an sauberem Trinkwasser. 600 Millionen aller Kinder leben ohne Zugang zu medizinischer Hilfe. Die Schreie dieser Menschen erreichen Gott. Er ist in ihrer Mitte. Wo ist seine Kirche, wo sind wir? 

Das Leiden ist das Merkmal der Kirche Christi. Der chinesische Theologe Raymond Fung sagt: „Es ist das Leiden, was die Kirche authentisch macht. Wenn die Kirche wirklich die Kirche sein soll, muss sie die Wundmale Christi an sich t7ae¿n –‚die Male der Schläge, der Nägel und der Dornenkrone -, die Male des Kreuzes. Damit wird die Kirche authentisch, nicht nur vor Gott, sondern auch vor den Leidenden, vor dem Volk, gegen das gesündigt worden ist.“ Merkmale einer missionarischen Kirche ist also ihre Solidarität mit den Leidenden. 


4. Solidarität im Kampf 

Das Wort Kampf mag uns zunächst erschrecken. Es soll damit aber nur das wirklich ernsthafte Bemühen eines Menschen angezeigt werden, der sich mit ganzer Kraft aus den Fesseln seiner Gefangenschaft befreien will. Das Leiden ist eine Folge von Ungerechtigkeit, Unterdrückung und Ausbeutung. Mehr als zwei Drittel des weltweiten Bananenexportes liegt in den Händen von drei Konzernen. Ihre wirtschaftliche Macht haben sie vor allem in Zentralamerika immer wieder ausgespielt und in die Innenpolitik dieser Staaten eingegriffen. 

Die Armut und die damit zusammenhängenden Teufelskreise von Analphabetentum, Obdachlosigkeit, Arbeitslosigkeit, Bevölkerungswachstum, Krankheit und Sterben sind nicht von Gott bestimmt. In ihnen wirken sich Strukturen und Schuld des Menschen aus. Christen sind aufgefordert, gegen diese unterdrückenden Mächte zu kämpfen, um das Heil Christi den leidenden Menschen näherzubringen. Es ist deutlich gesagt und gezeigt worden, daß die Veränderung der ungerechten Strukturen eine unverzichtbare Aufgabe der Mission ist. Ungerechte Strukturen regionaler und internationaler Ebene müssen abgeschafft werden. Es ist ein wesentlicher Bestandteil der Mission Christi, der prophetischen Aufgabe der Kirche, an ihrer Stelle gerechte, lebensfordernde Strukturen des Heils zu setzen. 

 

P. Dr. Horst Rzepkowski SVD † - [Anmerkung der Redaktion: Die von P. Rzepkowski verfasste Predigt wurde bereits veröffentlicht in: DIE ANREGUNG, Nettetal 1992; S. 405-407]