4. Fastensonntag (A)

Predigtimpuls

„Wir haben für euch auf der Flöte (Hochzeitslieder) gespielt, und ihr habt nicht getanzt“ (Mt 11,17).

1. Lesung: 1Sam 16,1b.6-7.10-13b
Zwischengesang: www.antwortpsalm.de
2. Lesung: Eph 5,8-14
Evangelium: Joh 9,1-41

In einem Konzert für zeitgenössische Musik hatte der Soloklarinettist an sein Instrument einen Sensor montiert, der die Töne in visuelle Schwingungen auf einem Monitor übersetzte. Da hüpften und tanzten sie dann in zackigen Linien und verschiedenen Farben auf und ab. Es war kein schönes Bild, wie auch die Töne, die der Musiker blies, dem Schönheitskodex der traditionellen Hörgewohnheiten zuwider liefen. Mir kam in den Sinn, wie das wohl wäre, wenn Gefühle und Stimmungen in Körpersprache übertragen würden. Das gäbe wohl bizarre Bewegungen, sanfte Schwingungen, Reglosigkeit, Hüpfen und Tanzen. Wie würde sich wohl ein Blindgeborener anstellen, wenn er plötzlich sehen könnte, was ihm völlig fremd ist? Das soll gar nicht so einfach sein. Der Geheilte – so berichten Mediziner, die tote Sehnerven wiederbeleben konnten – erleidet anfangs Qualen, nicht so sehr durch Operationsnarben, als vielmehr durch Verwirrung. Der Blinde hatte sich in der Welt ohne Gesichtssinn zurechtgefunden. Jetzt muss er eine ganz neue Sinneswahrnehmung integrieren. Da bricht das gewohnte Orientierungssystem zusammen. Er kennt sich nicht mehr aus. Die große Unsicherheit bereitet ihm anfangs Angst und Qual. 

Im Evangelium kommt Jesus an einem von Geburt an Blinden vorbei, der nicht wissen kann, was man sieht, wenn man sieht. Ihm bleibt nur, herumzutappen und zu betteln. Die Jünger interessieren sich gleich für den sündigen Hintergrund dieser verkrüppelten Kreatur. „Was hat er oder was haben seine Eltern getan, dass Gott ihn so bestraft?“ Da ist Jesus an seinem empfindlichsten Nerv getroffen. Was habt ihr für perverse Vorstellungen von Gott! Als wenn er darauf aus wäre, die Menschen für ihre Sünden zu quälen. Er ist doch barmherzig, will seine schwachen, oft böswilligen Geschöpfe/Kinder doch nicht in die Finsternis stoßen, sondern sie herausführen aus ihrem Schlamassel, will in die Welt ihrer Kurzsichtigkeit und Blindheit weit ausleuchtendes Licht bringen: „Ich bin das Licht der Welt“. 

Jesus wird gleich handgreiflich therapeutisch. Das sieht zunächst wie eine Verhöhnung aus: aus Dreck und Spucke ein Brei auf die Augen. Der Blinde, die inkarnierte Hilflosigkeit, lässt es mit sich machen, vertraut buchstäblich blind, tappt mit dreckverschmiertem Gesicht, wie ihm geboten, zum Teich Siloach, dass er sich wasche. Mit dem Dreck wäscht er sich auch die Dunkelheit ab, die ihm umgibt. Was mag da in ihm vorgegangen sein.

Der Evangelist beschreibt nicht die Gefühle des Geheilten, sondern die Reaktion seiner Umgebung. Als temperamentvoller Südländer wird er laut Gott dankend und tanzend durch die Straßen gehüpft sei. Die Leute wundern sich sehr, als sie so den vorher Blinden sehen. Das ist ja ein Wunder, ein Zeichen von Gott! Wenn ein Blindgeborener plötzlich wieder sehen kann, dann ist das wie eine „Erscheinung des Herrn“. 

Kann das sein? Kann nicht sein, entscheiden die Glaubenshüter. Sie wollen ihn in die Dunkelheit seiner angeblichen Sünden zurückstoßen. Sie inszenieren eine Ermittlung, um ihn amtsgerichtlich auf seine Sündhaftigkeit festzulegen, um so den Mann zu treffen, auf den der ehemalige Blinde sich bezieht, Jesus den 'Flötenspieler', der die Leute zum Singen und Tanzen bringt und die schwermütige Traditionsmelodie aufmischt. Die Melodie der Frohen Botschaft löst mit der Zeit eine solche Bewegung aus, dass die Wahrheitsbesitzer sich gezwungen sehen, dem Spiel ein drakonisches Ende zu setzen. Sie exkommunizieren den Geheilten. Der Evangelist spitzt die Szene so zu, dass diejenigen, die über das Zeichen der Heilung zu Gericht sitzen, die wahrhaft Blinden sind. 

Der Geheilte hatte Jesus nie gesehen, kannte ihn nicht. Jesus spricht den Ausgestoßenen an und gibt sich ihm zu erkennen. Da mustert ihn der sozial Isolierte nicht, macht kein Selfi, sondern wirft sich anbetend auf den Boden: Hier ist Gottes Gegenwart. Da sehen die Augen zwar nicht viel, aber in seinem Innern leuchtet es. Das Licht der Wahrheit flutet in ihn hinein: „Ich glaube, Herr!“ Das ist die Bekehrung, die Gott mit uns vorhat, ganz gleich, in welcher Verfassung jeder von uns ist. Zimmere dir nicht ein Gottesbild aus veralteten Bruchstücken der Religion. Lass Gott in dir aufgehen, auch wenn für deine Sinne Nacht ist.


P. Dr. Gerd Birk SVD