21. Sonntag im Jahreskreis (A)

Predigtimpuls

Schlüsselkinder

1. Lesung: Jes 22,19-23
Zwischengesang: www.antwortpsalm.de
2. Lesung: Röm 11,33-36
Evangelium: Mt 16,13-20

Liebe Mitchristen, 

zwei Lesungen des heutigen Wortgottesdienstes sprechen ausdrücklich von einer Schlüsselgewalt, die übertragen oder weggenommen wird. Schlüssel sind in ihrer ursprünglichen Bestimmung zum Schließen und Öffnen von Türen oder Kästen da. Abends wird die Tür des Hauses verschlossen und morgens geöffnet. Das bringt Ruhe und Sicherheit mit sich, zeigt aber auch Offenheit und a. u. zugleich griffbereit, wohl aber sicher auf. Geht ein Schlüssel verloren und hat man keinen Ersatz, muss gegebenenfalls das Schloss ausgewechselt werden. Schlüssel und Schlösser sind ein wichtiges Requisit für unsere Zeit geworden – von der „Schlüsselstelle“, die jemand in einer öffentlichen Position haben kann, bis hin zum Problem der „Schlüsselkinder“.  

Dann gibt es natürlich das Phänomen, dass man seine Schlüssel einem anderen anvertraut, sei es für einen Notfall, oder dass er in Abwesenheit der Eigentümer für die Wohnung oder das Haus sorgen soll. Dabei kann es um das Leeren des Briefkastens, um die Blumen, um die Sicherheit oder was immer gehen. Solch einem Menschen vertraut man, dass er nichts stiehlt, dass er nirgendwo nachschaut, wo er nichts zu suchen hat. 

In unserer ersten Lesung aus dem Buch Jesaja geht es auch um Schlüsselgewalt, aber mehr in einem übertragenen Sinn. Jahwe hat einen Mann, Schebna, zum Tempelvorsteher berufen. Dieser hat das in ihn gesetzte Vertrauen nicht erfüllt. Deswegen verjagt ihn der Herr aus seinem Amt und vertreibt ihn von seinem Posten. Gott versucht es nun mit Eljakim. Er übergibt ihm die Ehre mit ihren Zeichen und die Macht, allerdings auch die Last der Verantwortung. Eljakim soll an Gottesstatt wie ein Vater für die Menschen da sein. Dafür werden ihm die Schlüssel des Hauses David auf die Schultern gelegt: Er hat für das Recht zu sorgen, besonders dass die Armen und Fremden nicht übervorteilt und Waisen und Witwen nicht benachteiligt werden. Seine Entscheidungen werden gelten, weil er Jahwe repräsentiert. Aber schon die nächsten beiden Verse des Jesajabuches – sie gehören nicht mehr zum liturgischen Text der heutigen Lesung – zeigen, dass auch Eljakim versagt hat. Der Antwortpsalm (138) meditiert in den ausgewählten Versen, dass für den Glaubenden letztlich Recht, Gerechtigkeit und Erbarmen nur beim Herrn selbst zu finden sind. Der Kehrvers fasst es zusammen und wiederholt es mehrmals: „Herr, deine Huld währt ewig. Lass nicht ab vom Werk deiner Hände!“ 

Im Evangelium ist auch die Rede von Schlüsseln, die übergeben werden. Jesus vertraut dem Petrus die Schlüssel des Himmelreiches an. Er nennt ihn den Fels, auf den er seine Kirche bauen wird, die die Mächte der Unterwelt, also der Tod, nicht werden überwältigen können. Diese Aussage folgt dem Bekenntnis des Petrus auf die Frage Jesu: „Für wen halten die Leute den Menschensohn?“ Jesus ist im Land eine sehr beachtete Person, man vergleicht ihn mit den Propheten. Er hakt nach: „Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“ Petrus bringt das (nachösterliche) rechte Jesus Verständnis in die Formel: „Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes!“ Diesem Bekenntnis der Gemeinde gelten die Versprechungen Jesu, dass der Tod seine sich zu ihm bekennende Gemeinde nicht vernichten kann und dass ihre Entscheidungen im Lichte dieses Bekenntnisses, vielleicht kann man auch sagen: im Sinne dieses Bekenntnisses, vor Gott Gültigkeit haben werden. 

Nicht das Amt garantiert den Bestand der hier „Kirche“ genannten Gemeinde, sondern das rechte Bekenntnis zum Herrn dieser Gemeinde. In der Schilderung des Matthäus folgt unserer Perikope die erste Ankündigung von Leiden und Auferstehung. Petrus mag das nicht hören, er nimmt Jesus beiseite und sagt zu ihm: „Das soll Gott verhüten, Herr! Das darf“ nicht mit dir geschehen!“ Jesus sagt zu dem gleichen Petrus, dem er eben erst die großen Verheißungen zugesagt hat: „Weg mit dir, Satan, geh mir aus den Augen! Du willst mich zu Fall bringen; denn du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen.“ Im Hofe des Hohenpriesters lässt ebenfalls Matthäus den Petrus sprechen: „Ich kenne den Menschen nicht“, dabei hat er sich verflucht und geschworen. Petrus musste erst lernen, mit seinem ganzen Leben in das Messiasgeheimnis hineinzuwachsen. Bis er es dann verstanden hat, seine Brüder und Schwestern zu stärken, hat es wohl noch viel länger gedauert. 

Liebe Mitchristen, sie kennen vermutlich das geflügelte Wort: Es ist nicht einmal dem Klerus gelungen, die Kirche in ihrer zweitausendjährigen Geschichte zu vernichten. Doch leiden heute viele an der konkreten Erscheinungsform der Kirche. Von Rom kommt so viel Papier, dass viele schon gar nichts mehr lesen. Es werden Entscheidungen gefällt, die viele nicht mittragen wollen und können, ich denke vor allem an das Verbot, auch nur über das Priestertum der Frau zu diskutieren – und den Zusatz, hierbei handle es sich praktisch um eine unfehlbare Entscheidung. Viele Aussagen zur Sexualmoral und ihre dauernde Wiederholung werden nicht verstanden und schon gar nicht befolgt. Man könnte die Liste noch verlängern. Dazu kommen die umstrittenen Bischofsernennungen mit der Weigerung, eklatante Fehlentscheidungen zu korrigieren. Es könnte ja das Eingeständnis sein. „Rom“ hätte sich geirrt! Wie wir in der ersten Lesung hörten, gibt es eine Verantwortung der „Schlüsselleute“, sie können auch abgesetzt und verurteilt werden! Dann kommen noch Amtsträger und bestimmte Gruppierungen, die von sich behaupten, sie besäßen die Wahrheit! 

Zu all dem „Schlamassel“, den es gibt, kommen wir sündigen Christen, die „Schlüsselkinder“ sein könnten in vielfältiger Weise. Wir bekennen uns zu Jesus, aber es hapert mit der Umsetzung ins praktische Leben. Könnten wir nicht vielen Mitmenschen die Augen, Ohren und das Herz aufschließen für positive Sichten und Einsichten, für die froh und frei machende Botschaft Jesu? Könnten wir Christen nicht Abgründe verschließen, die sich für Menschen auftun, Abgründe des Hasses und der Missachtung von Menschen, des angeblich nicht Verzeihen-Könnens. 

In der adventlichen Liturgie des 20. Dezember lautet die Magnificat-Antiphon in der Vesper – der Text findet sich auch als Halleluja-Vers vor dem Evangelium in der Eucharistiefeier: „O Schlüssel Davids, Zepter des Hauses Israel – du öffnest, und niemand kann schließen, du schließt und keine Macht vermag zu öffnen: o komm und öffne den Kerker der Finsternis und die Fessel des Todes.“ Diesen Text singt die Kirche seit dem 7. Jahrhundert. Der hier als „Schlüssel Davids“ angeredete, ist niemand anderer als unser Herr Jesus Christus. Von ihm singt ein Kehrvers in den Laudes des Karsamstags: „Ich war tot, doch ich lebe in Ewigkeit. Ich habe die Schlüssel des Todes und der Unterwelt.“ Er ist der Schlüssel der Kirche, auf den wir unser ganzes Vertrauen setzen können, alle anderen in der Kirche sind nur „Schlüsselkinder“, die Amtsträger und die Herde, die ihnen anvertraut ist, damit diese gestärkt wird und ihr Recht erfährt. Wenn einmal die Vollendung erfüllt ist, wird es keine Schlösser und Schlüssel mehr geben. Alles steht den Vollendeten offen. Dann wird es so sein, wie wir es im Antwortpsalm bekannt haben und wie es uns die 2. Lesung aus dem Römerbrief nahelegt: „Denn aus ihm und durch ihn und auf ihn hin ist die ganze Schöpfung. Ihm sei die Ehre in Ewigkeit! Amen.“ 

 

P. Dr. Winfried Glade SVD - [Anmerkung der Redaktion: Die von P. Glade verfasste Predigt wurde bereits veröffentlicht in: DIE ANREGUNG, Nettetal 1996; S. 292-294]