24. Sonntag im Jahreskreis (A)

Predigtimpuls

Die Liebe Gottes kennt keine Grenzen

1. Lesung: Sir 27,30 - 28,7
Zwischengesang: www.antwortpsalm.de
2. Lesung: Röm 14,7-9
Evangelium: Mt 18,21-35

Kennt Gottes Liebe Grenzen? Setzt Gottes Liebe Grenzen? Stellt sie Bedingungen? Fordert sie Vorleistungen? „Nur wenn du dieses oder jenes tust und erfüllst, werde ich dir meine Liebe schenken und sie dir nicht entziehen!“ 

Wenn wir hineinhorchen in die Grundbotschaft Jesu, kann es natürlich nur eine Antwort auf diese Frage geben: Nein, Gottes Liebe kennt und sie setzt keine Grenzen. Sie stellt auch keine Bedingungen. Wer in der Angst lebt: Ich muss mir diese Liebe erst verdienen; oder: So wie ich bin, kann Gott mich gar nicht mögen; oder auch umgekehrt sagt: Ich habe mir seine Liebe redlich verdient und ein Recht auf sie, wo ich doch ein so anständiger Kerl bin – wer so oder so denkt, hat noch nicht wirklich verstanden, was es heißt: Ich bin von Gott geliebt, einfach so, umsonst, ohne jede Vorleistung, einfach weil ich bin, sein Geschöpf, seit Ewigkeit lebend in Gottes Herzen, seit meiner Zeugung in mein irdisches Dasein hinein entlassen, ins Dasein gerufen, ins Dasein geliebt. 

Doch nun hören wir das heutige Evangelium. Es geht um Vergebung, also um eine bestimmte Gestalt der Liebe, nämlich die, die sie annimmt, wenn ihr Böses widerfährt. Endet das Gleichnis Jesu nun nicht doch damit, dass seiner Vergebungsbereitschaft und damit eben auch seiner Liebe eine Grenze gesetzt wird? „Ebenso wird mein himmlischer Vater jeden von euch behandeln – nämlich den Übeltäter nach Recht und Gesetz strafend – der seinem Bruder (und seiner Schwester) nicht aus ganzem Herzen vergibt“, so beendet Jesus seine Gleichnisrede. Mit anderen Worten: Nur wenn du vergibst, wird auch Gott dir vergeben. Also doch Bedingungen, Vorleistungen?

Gehen wir der Reihenfolge nach vor und fragen wir, worum es Jesus zunächst einmal geht. Das erste, um das sich alles dreht, könnte man bezeichnen als eine radikale Entgrenzung unserer menschlichen Liebe, und zwar nach dem Vorbild Gottes. Vermutlich empfinden wir wie Petrus, dass es doch eigentlich schon recht hoch gegriffen und ausgesprochen großmütig ist, wenn wir immerhin bereit sind, siebenmal zu verzeihen. Irgendwann muss ja mal Schluss damit sein. Alles hat seine Grenze. 

Die Antwort Jesu, „nicht siebenmal, sondern siebenundsiebzigmal“ zu vergeben, ist eine Ausweitung, die alle menschlichen Maßstäbe sprengt und unsere oft so kleine menschliche Liebe unmittelbar mit der ungeheuren Weite der Liebe Gottes konfrontiert und uns herausfordert, von dieser Liebe her unsere Maßstäbe zu nehmen und auszuweiten. 

Dann erzählt Jesus ein Gleichnis zur Illustration seiner Forderung. Frage: Der Diener, der mit seinen 10.000 Talenten Schulden vor den König tritt – wer ist das eigentlich? Die Antwort kann nur lauten: Das ist der Frager selbst, das ist Petrus, ja das ist jeder von uns. Das griechische Wort für „zehntausend“ (bezeichnet die höchste Zahl, die das Griechische kennt. Diese ungeheure, unbezahlbare Summe kann entsprechend nur heißen: Mit restlos allem, was wir sind und haben, stehen wir in Gottes Schuld. Und noch einmal mehr durch das, wodurch wir an ihm und anderen tatsächlich schuldig werden, oft vielleicht weniger durch das Böse, das wir tun, als viel mehr durch das Gute, das wir aus Lauheit, Oberflächlichkeit, Bequemlichkeit, kurz: aus mangelnder Liebe unterlassen. Es geht hier gar nicht mehr darum, zu messen und zu vergleichen: Ich bin doch gar nicht so schlimm! Ich bin zumindest besser als der oder die, und meine Schuld ist ja gar nicht so groß. All das tut jetzt hier nichts zur Sache, wird beiseite gewischt. Es geht allein darum, dass auch wir wie der Diener mit leeren Händen vor Gott stehen, nicht zuletzt auch aufgrund persönlicher Schuld, deren Schwere wir selbst gar nicht zu messen vermögen, weil das Gericht allein Sache Gottes ist.

Doch nun geschieht Überwältigendes. Der Diener hatte gar nicht um Erlass, sondern nur um Aufschub der Schuld gefleht. Doch das ist der Augenblick, da er dem Geheimnis einer Liebe begegnen darf, die alles Erwartbare sprengt. Die leeren Hände des Dieners, seine Ohnmacht, sein Nichtvermögen fordern das Mitleid und die Barmherzigkeit des Königs heraus, vor dem er kniet – und dieser erlässt die ganze ungeheure Schuld. Sie wird einfach durchgestrichen, der Schuldschein zerrissen. 

An dieser Stelle nimmt das Gleichnis eine empörende Wendung. Die Weise, wie Jesus das unbarmherzige Verhalten jenes Knechtes schildert, der gerade Barmherzigkeit über alles erwartbare Maß hinaus erfahren hat, zeigt: Die Liebe, die der König in geradezu verschwenderischer Weise über ihn ausgegossen hatte, war in des Wortes doppelter Bedeutung umsonst. Umsonst gewährt, war sie dennoch vergeblich, ging ins Leere. Nicht der König ist es, der hier eine Grenze setzt, sondern allein der Diener. Er selbst setzt eine Grenze, durch die die vergebende Liebe des Königs ihn innerlich nicht erreicht, viel mehr an ihm abprallt. Wenn er daher aufgrund seines unbarmherzigen Verhaltens doch in den Schuldturm muss, um seine ganze Schuld zu begleichen, dann bedeutet das nicht, dass der König (Gott) seine Vergebungsbereitschaft zurücknähme. Doch das Angebotene kommt nur an, wenn es auch empfangen wird, d.h. den Menschen innerlich verwandelt und selbst barmherzig macht. Bleibt er inwendig der Alte, war das Umsonst der Gnade umsonst. 

Man kann es auch so sagen: Der Unbarmherzige will nicht verzeihen. Er will den Groll über einen Menschen, die Wut, den Hass, die Vergeltungsgelüste, die Bitterkeit nicht loslassen. Er will das nicht loslassen, was so oft menschliche Beziehungen vergiftet: Ehen, Familien, Freundschaften, nicht zuletzt ihn selbst. Er will an dem festhalten, wovon er gleichzeitig will, dass es ihm selbst durch Vergebung genommen werde. Dieser Widerspruch ist im Rahmen barmherziger Liebe nicht auflösbar.  

Natürlich kann es sein, dass ein Mensch es jetzt einfach noch nicht vermag zu verzeihen. Aber dann ist immer noch möglich zu sagen: Ich entscheide mich, ja ich bete: Ich will verzeihen können, auch wenn ich es jetzt noch nicht kann; auch wenn ich jetzt emotional noch nicht dazu fähig bin, weil die Gefühle in mir einfach noch zu verletzt sind. „Schau, Gott, auf meine Ohnmacht, auf meinen Groll, auf das Nicht-vergessen-und-nicht-verzeihen-Können und gib Du mir die Kraft dazu.“ Wer so betet, wer so mit sich selbst und einer schweren Verletzung durch andere Menschen ringt, für den gelten die letzten Worte Jesu aus dem heutigen Evangelium nicht. Ihm wird Verzeihung gewährt, wenn er bittet, und sicher mit der Zeit, die wir uns zugestehen dürfen und die uns sicher auch Gott zugesteht, auch die Kraft finden, verzeihen zu können, nicht nur siebenmal, sondern siebenundsiebzig mal, also unbegrenzt.

Und so kann man vielleicht sogar sagen, dass niemand anderer so sehr Exerzitienmeister für die Einübung jener Liebe ist, die keine Grenzen setzt, als gerade jener, dem wir immer wieder verzeihen und so manches nachsehen müssen. 

Und so dürfen wir mit allem, das uns belastet, in dem Vertrauen zu Gott kommen, dass seine Liebe und seine Vergebungsbereitschaft niemals eine Grenze setzt. Die können nur wir selbst aufrichten, aus unserer Freiheit heraus, die Gott niemals antastet. Beten wir darum, dass die Güte, das Verständnis, die Nachsicht und die Vergebungsbereitschaft, die Gott für einen jeden von uns bereit hält, auch wir anderen Menschen zu schenken bereit sind, um so in der Liebe zu wachsen und zugleich dem Frieden und der Versöhnung um uns herum zu dienen.


Pfr. Bodo Windolf