26. Sonntag im Jahreskreis (A) - Erntedank

Predigtimpuls

Danken

1. Lesung: Ez 18,25-28
Zwischengesang: www.antwortpsalm.de
2. Lesung: Phil 2,1-11
Evangelium: Mt 21,28-32

Erntedank als Fest der Erinnerung 

Dieser Sonntag ist in jedem Jahr ein besonderer Sonntag! Wir schauen zurück und danken Gott für all die Früchte und Blumen, Korn und Gemüse. Die Summe des Sommers liegt vor uns. Am heutigen Erntedankfest nehmen wir die Ernte des ganzen Jahres an und danken unserem Gott. Danken hat etwas zu tun mit Erinnerung: Wer zurückschaut und sich der kleinen Samen erinnert, erkennt, dass es nicht seine Kraft war, die die Pflanzen und Tiere wachsen ließ. Wer dies erkennt, hat Grund zu danken. Sich erinnern und danken stehen deshalb gerade für uns Christen in einem engen Zusammenhang: Wir erinnern uns auch heute der Gnade, die Gott uns in seiner Schöpfung geschenkt hat, aus der wir leben. 


Danken als Lebenshaltung 

Den heutigen Tag des Dankens nehme ich zum Anlass, ein wenig über das Danken in unserem Leben nachzudenken. 

Wir leben in einer Gesellschaft, in der mehr gefordert als gedankt wird. An Stelle des Dankens sind vielfach Quittung oder Spendenbescheinigung getreten. Doch merken wir alle intuitiv, dass Danken ein persönlicher Akt bleiben muss und erst so zu einer menschlichen Tat wird. Obwohl wir zu den reichsten Ländern der Welt gehören, nehmen wir das, was wir haben, als selbstverständlich hin, streben nach immer mehr und haben keine Zeit zum Danken. Sicher ist es dringlich, sich für soziale Gerechtigkeit, für Frieden und für unsere Umwelt einzusetzen, denn dies sind Pfeiler, die die Zukunft von Menschen möglich machen. Doch haben wir bei all diesen Aktivitäten auch Zeit, uns zu erinnern, was Gott uns geschenkt hat, was wir mit Gottes Hilfe erreicht haben? Haben wir Grund zu danken? 

Danken kommt von Denken: Wer aufhört zu denken, kann bewusst nicht danken. Wenn wir anfangen zu denken und Rückblick halten auf unser Leben, finden wir. Mag unsere Lebensgeschichte noch so schmerzlich sein, Grund zu danken. Heißt nicht danken auch, das Positive in unserem Leben anzuerkennen? Dieser Dank für Gutes hilft uns, das Schwere in unserem Leben anzunehmen. Ein befreundeter Psychotherapeut sagte mir einmal: Wer aus einer Haltung des Dankens lebt, wird nicht depressiv. Wenn wir das Danken in unserem Leben einüben, z. B. im Anlegen eines Tagebuches des Dankens, wird uns vieles nicht mehr so selbstverständlich erscheinen wie bisher. 

Ist es nicht ein unerhörtes Geschenk, mit anderen Menschen Leben teilen zu dürfen? Oder – dass die Sonne über jedem Morgen aufgeht, über gute und böse Tage, über gute und böse Menschen. Dies bedeutet doch auch: über meiner Güte und Bosheit.

Danken hat ein Gegenüber 

Den Sonnenaufgang, da werden mir alle zustimmen, kann sich niemand verdienen. So ist es auch mit den wichtigsten Dingen in unserem Leben: Liebe und Leben ist immer Geschenk. Das fängt klein an – in den vielen Zeichen am Weg, wenn ich morgens zur Arbeit gehe, Zeichen, die mich ansprechen und mir etwas sagen wollen: Eine Rose in Nachbars Garten, das Spielen und Singen der Vögel, die bunten Blätter des Herbstes oder das Lachen eines Kindes. 

Diese Zeichen zu erkennen, wahrzunehmen und in sich aufzunehmen kommt dem Danken sehr nahe. Wenn wir bereit sind, diese Dinge wahrzunehmen, erkennen wir langsam den verborgenen Grund der Dinge, das „Du“ in allen Dingen, Ereignissen und Begegnungen: Gott selbst. Somit bekommt das Danken eine Richtung. Dank geht von mir selbst weg zu Gott oder zum anderen hin. Wer von Herzen danken kann, wird frei für Gott und den anderen und erfährt Freude. 


Danken auch im Schmerz? 

Können wir aber auch danken für Dinge, die uns Schmerzen bereiten? Was verhindert den Dank im Schmerz? Wie kann ein Mensch danken für die persönliche Enttäuschung, für missbrauchtes Vertrauen, für die Einsamkeit, in der er lebt? Wie soll er danken für den Verlust eines von ihm geliebten Menschen? Wie kann er danken für eine Welt, die an vielen Ecken in Flammen steht, in der ungezählte Menschen lichterloh brennen und umkommen? 

Solche Erfahrungen werfen uns auf uns selbst zurück – der Schmerz und das Leid nimmt uns ganz gefangen. Es ist ein Geheimnis der Gnade Gottes, wie Menschen das Unbegreifliche, das ihnen geschehen ist, allmählich annehmen. Langsam kommen sie los von ihrem Schmerz, von sich selbst und können die Richtung des Dankens einschlagen. Diese Menschen verbittern nicht. Sie wissen aus Erfahrung, dass sie nichts haben, das sie nicht empfangen hätten. Sie glauben dem Grund aller Dinge: dem Gott der Liebe. Von diesen Menschen will ich lernen, denn sie befreien die Welt. 


Danksagung im Gottesdienst 

In allem will Gott Begegnung feiern und fragt nach einer liebenden Antwort. Jesus selbst hat das Danken nicht vergessen: Am Abend, als er ausgeliefert wurde, dankte er seinem Vater für die Früchte der Erde, für Wein und Brot. Dieser Blick zum Vater machte ihn frei für seinen Auftrag. In Jesu Erlösungstat hat Gott selbst zu uns sein end-gültiges Ja gesprochen. Dieses Ja ist der letzte Grund, weshalb ich ahne, dass wir in jeder Situation danken dürfen, in Freud und Schmerz. Geben wir uns diesem Ja ganz hin; ohne „Wenn“ und „Aber“. 

Wenn wir jetzt zusammen Eucharistie feiern, erinnern wir uns der Taten Gottes und danken ihm, unserem Vater, für das Leben der Welt, für seine Schöpfung und für das Heil in seinem Sohn Jesus Christus. Die Summe des Dankens aller hier Versammelten wird hier und jetzt dargebracht. 

Beim miteinander Feiern merken wir, dass Dank zum Menschen gehört, denn niemand verdankt sich selbst. 

Lernen wir ein Leben lang in vielen kleinen Schritten die Kunst des Dankens, bis wir unser Leben am letzten Ende als „Tagebuch des Dankens“ in Gottes Hände legen dürfen. Dank sei Dir, Herr! Amen.

Dr. Wolfgang Holzschuh, Dipl.-Theol. - [Anmerkung der Redaktion: Die von Wolfgang Holzschuh verfasste Predigt wurde bereits veröffentlicht in: DIE ANREGUNG, Nettetal 1996; S. 395ff]