29. Sonntag im Jahreskreis (A)

Predigtimpuls

Einheit der Kirche: Ökumene

1. Lesung: Jes 45,1.4-6
Zwischengesang: www.antwortpsalm.de
2. Lesung: 1Thess 1,1-5b
Evangelium: Mt 22,15-21

Die Verbindung von Gottes Geist und Kirche findet sich in dem allen Kirchen gemeinsamen Glaubensbekenntnis: „Ich glaube den Heiligen Geist. Ich glaube die eine, heilige, christliche (d.h. gleichbedeutend katholische oder allgemeine) und apostolische Kirche“. Das sind die vier Kennzeichen der Kirche.

Die Einheit der Kirche gehört zu ihrem Wesen, die Einheit der Kirche ist ein Element des Glaubens. Nicht nur im Johannesevangelium (Kap. 17), sondern im gesamten Neuen Testament, vor allem auch in den Paulusbriefen, wird immer eindringlich zur Einheit im Geiste gemahnt. Die Einheit ist ein Gebot des Herrn, die Einheit ist eine Grundverpflichtung der Kirche, nicht eine beliebige Dreingabe, sondern eine Notwendigkeit. 

Diese theologische Notwendigkeit ist in den vergangenen Jahrhunderten immer wieder überspielt worden. Die Kirchen haben einander entfremdet, sie haben nicht aufeinander gehört, und sie haben sich zu wenig um die Einheit bemüht. Heute erweist sich vor allem in unserer Gesellschaft eine Neubesinnung aus verschiedenen Gründen als notwendig. Die freundlichen Worte, die man in unserer Zeit in den verschiedenen Kirchen füreinander findet, täuschen nicht darüber hinweg, dass viele Menschen in konfessionsverschiedenen Ehen an der Spaltung der Kirche leiden. Sie täuschen nicht darüber hinweg, dass Menschen aus solchen Ehen nicht gemeinsam mit ihrem Ehepartnern oder ihren Kindern das Herrenmahl empfangen können. Sie täuschen nicht darüber hinweg, dass zum Beispiel Theologen- Ehepaare, die eine konfessionsverschiedene Ehe führen weder in der einen noch in der anderen Kirche ohne weiteres eine Anstellung finden können. Hier zeigt sich die Widersinnigkeit der konfessionellen Spaltung ganz existentiell. Es gibt viele Gründe in unserer heutigen Zeit, die Einheit der Kirche über die theologische Notwendigkeit hinaus als wünschenswert erscheinen zu lassen.

Viele Menschen erhoffen sich von der Einheit der Kirche eine innere Erneuerung. In allen kirchlichen Gemeinschaften gibt es Verkrustungen. In ihrer Vereinzelung stellen die Kirchen oft nur ein Zerrbild dessen dar, was christliche Gemeinschaft eigentlich bedeuten könnte. Die wechselseitige Aufnahme der verschiedenen Traditionen könnte insgesamt zu einer Verlebendigung führen, indem die ursprüngliche Lebenskraft freigesetzt wird. 

Die Christen erkennen in unserer Zeit immer deutlicher, dass sie eine gemeinsame Verantwortung für ihren Glauben und darüber hinaus für das Heil der ganzen Welt haben. Einen Einsatz für konkrete Aufgaben in der Welt, für den Frieden, für die Armen und Ausgebeuteten, können die christlichen Kirchen nur leisten, wenn sie es gemeinsam tun, nicht gegeneinander. Die ersten Ansätze zur kirchlichen Gemeinschaft hat es gegeben, als man über dem Missionsauftrag der Kirchen zu Beginn des 20. Jahrhunderts erneut nachdachte. Dort, wo Christen in der dritten Welt auftraten und gegeneinander missionierten, erschienen sie unglaubwürdig. So ist die Sorge um die Glaubwürdigkeit des Christentums, seiner Lehre und seines Lebens eine grundlegende Motivation für die Einheit der Kirchen.

Gegenüber der nichtchristlichen Welt, d.h. gegenüber anderen Religionen, aber auch gegenüber dem praktischen Atheismus sowie gegenüber dem Materialismus haben die Christen eine ernsthafte Überlebenschance nur, wenn sie gemeinsam auftreten. Ihre eigene Botschaft des Friedens, der Liebe, müsste sich zunächst im eigenen Miteinander bewähren, bevor es auf andere ansprechend wirkt.

Während in früheren Jahrhunderten das Christentum verschiedene Nationen und verschiedene Kulturen miteinander verbunden hat, ist dies durch die konfessionelle Aufspaltung verloren gegangen. Wenn die Religion nicht von allen in gleicher Weise akzeptiert wird, kann sie nicht mehr die für alle verbindliche Basis einer Gesellschaft sein. Um des Friedens willen wurde die Religion zur Privatsache erklärt und als neue Basis des Zusammenlebens die alle Menschen verbindende Vernunft bzw. die vernünftig erkannte Naturordnung gefunden: Recht, Menschenrechte. 

Durch die Aufspaltung in verschiedene Konfessionen hat das Christentum seinen Einfluss in der Welt verloren. Es geht nicht darum, durch Vereinigung der Kirchen versuchen zu wollen, diesen politischen Einfluss zurückzugewinnen, aber als eine glaubwürdige und dem Leben Sinn gebende Ausrichtung hat das Christentum nur eine Chance, wenn es innerhalb der Menschen, die sich zu Christus bekennen, selbst Einheit, Frieden, Freiheit und Brüderlichkeit gibt. 

Trotz aller Unterschiedlichkeit sind die meisten christlichen Kirchen innerlich tief verbunden. Der Grund ihrer Existenz ist Jesus Christus und der Glaube an den dreifaltigen Gott, den Vater, den Sohn und den Geist. Der Schöpfer Gott, der alles Dasein ins Leben gerufen hat, verlässt seine Schöpfung auch da nicht, wo sie sich in der Sünde des Menschen von ihm abwendet, sondern kommt durch das Kreuz und die Auferstehung Jesu als Retter zu Hilfe. Im Geist bleibt dieser schaffende und rettende Gott bei uns durch die Zeit und führt uns zur Vollendung. Trotz dieser grundlegenden Einheit im Glauben haben die verschiedenen Konfessionen Besonderheiten herausgearbeitet, die für sie charakteristisch sind. Hierbei soll in starker Vereinfachung und Typologisierung jeweils nur auf einen Aspekt eingegangen werden.

Die Kirchen der Reformation berufen sich in besonderer Weise auf die Heilige Schrift, auf das Wort Gottes. Die Bedeutung der heiligen Schrift und des Gotteswortes ist in der gesamten Kirchengeschichte unbestritten gewesen; jedoch Luther hat dieses Wort in seiner Zeit ÷ zunächst für sich und dann auch für andere ÷ neu entdeckt. Das Wort ist die Weise, in der Gott sich uns mitteilt, in der er sich uns schenkt, in der er uns rettet und heilt, wenn wir dieses Wort im Glauben aufnehmen und empfangen. Dass nur Gott uns retten und erlösen kann, ist ebenfalls eine Überzeugung, die Christen zu allen Zeiten geteilt haben. Sie suchten aber auch Sicherheit dafür, dass sie das von Gott verkündete Ziel ihres Lebens erreichten. In der Vergangenheit, aber auch heute, glauben viele Menschen, diese Sicherheit durch eigenes Zutun erhöhen zu können, in dem sie sich mühen und die kirchlichen Heilsmittel in Anspruch nehmen. In genialer Weise erkannte Luther, dass unsere einzige Sicherheit im Vertrauen auf Gottes Wort gründet: Wenn ich ihm glaube, dass er mich als Sünder annimmt, dann kann mich nichts von ihm trennen, denn Gott täuscht nicht. Diese schlichte Erkenntnis war damals im 16. Jahrhundert neu und hat bei einem Großteil der Christen große Begeisterung hervorgerufen. Im Mittelpunkt steht hier das individuelle Heil des einzelnen.

Für die Christen der katholischen Kirche scheint ein anderes Wesenselement den Mittelpunkt auszumachen, nämlich das, was der Name „katholisch“ andeutet, die Universalität. Menschen aus allen Völkern, aus allen Schichten und Nationen sammeln sich gemeinsam um den einen Christus sammeln. Christus hat in der Kirche sich sein neues Volk zusammengestellt; es gilt nicht mehr der Unterschied: Jude und Grieche (Heide), Mann und Frau, Sklave und Freier, man kann hinzufügen „evangelisch und katholisch“ (vgl. Gal 3,26-29). Diese Einheit jedoch ist natürlich oft auch als Fessel und Zwang empfunden worden und bedarf ständig der spirituellen Erneuerung. 

Für die orthodoxen Christen ist der Einbruch Gottes in unsere Geschichte der entscheidende Aspekt. Gott ist in diese Welt gekommen, um uns Anteil zu geben an seinem göttlichen Leben. In der Feier der göttlichen Mysterien haben wir jetzt schon zeichenhaft Anteil an dem, wozu wir berufen sind. 

Diese angedeutete, zugegebenermaßen verkürzten, Perspektiven machen deutlich, dass die Teilaspekte jeder Konfession nicht gegen andere ausgespielt werden können. Die Kirche Jesu Christi besteht aus allem zusammen. Die drei großen christlichen Richtungen: katholisch, orthodox und evangelisch, benennen jeweils Teilaspekte, die eigentlich für alle Kirchen verbindlich sind. Katholisch meint die ganze Welt, den ganzen Erdkreis, alle Menschen betreffend. Orthodox meint rechtgläubig und durch den Glauben jetzt schon mit der ewigen Herrlichkeit verbunden zu sein. Evangelisch heißt dem Wort Gottes folgen, ihm vertrauen und so zu neuem Leben erweckt werden. 

Die Frage nach der Einheit der Kirche ist nicht beliebig, sondern sie gehört zu den vier Kennzeichen der Kirche und ist Inhalt unseres Glaubensbekenntnisses. Die Einheit ist letztlich kein menschliches Geschehen, sondern wie alle Heilsgaben ein Geschenk Gottes. Grundlage jeder künftigen Einheit ist die Freude an Gottes Wort und Heilstat. Wenn wir, wie Martin Luther es in seiner Freiheitsschrift so wunderbar ausgeführt hat, uns klargemacht haben, da Gott uns befreit hat, und wenn wir ein wenig die Freude an dieser von Gott geschenkten Freiheit empfinden, dann werden wir auch den zweiten Aspekt nicht aus dem Auge verlieren dürfen. Gott hat uns frei gemacht von der Sorge um unser Heil, damit wir in Freiheit all unsere Fähigkeiten und Gaben einsetzen für die anderen. Wir als Christen haben eine Aufgabe für die Welt. Es geht nicht nur um uns als einzelne Individuen, sondern wir sind berufen als Volk Gottes den Frieden des Herrn hier in dieser Welt zu repräsentieren und sichtbar zu machen. In früheren Jahrhunderten haben die Christen und die christlichen Kirchen verschiedene Nationen und Kulturen miteinander verbunden und versöhnt. In unserer zerrissenen Welt wäre es eine große Aufgabe, dass die christlichen Kirchen insgesamt vorlebten, was Brüderlichkeit, Frieden und Liebe bedeutet.

Ein erster Schritt auf eine solche Einheit hin wäre die Anerkennung der gegenseitigen Gleichberechtigung der Kirche, d.h. die Anerkennung, dass die jeweils andere Kirche in einer legitimen christlichen Tradition steht. Verbunden damit ist aber die Verpflichtung jeder einzelnen Kirche zur Einheit. 

Eine weitere Spur auf dem Weg zur Einheit ist die Erkenntnis, dass die Einheit nicht gleichzusetzen ist mit „Einheitlichkeit“. Die Vielfalt unserer Traditionen und Kirchen, unserer liturgischen Formen und Gebete, die Vielfalt auch all unserer theologischen Versuche, die Größe Gottes gedanklich zu erfassen, kann insgesamt verstanden werden als ein Hinweis auf diesen unendlichen und wahren Gott. Er ist doch nicht in einer einzigen Form, in einer einzigen Lehre zusammenzufassen. 

Martin Luther hat eine Vorstellung von der Einheit der Kirche entwickelt, die in diesem Punkte auch heute nicht überholt ist. Er sagt: „Wenn die Einheit der Kirche zu glauben ist, wenn sie ein Geschenk Gottes ist, dann ist diese Einheit immer schon da.“ Die Einheit wird konstituiert durch Christus selbst. Dort, wo Christus als das eigene Heil erkannt wird, wo er der Mittelpunkt des Lebens ist, wo die Menschen sich in seinem Namen versammeln und aus seinem Geist heraus handeln, da ist die Einheit der Kirche schon vorgegeben.

Einheit ist auch notwendig, damit Gottes befreiende Gnade angemessen verkündet wird. Welchen Beitrag könnten die Christen insgesamt vom Evangelium her für unsere Zeit leisten? Ein Zusammenleben von Menschen aus unterschiedlichen Schichten, unterschiedlichen Kulturen, unterschiedlichen Völkern und Rassen; ein Zusammenleben in geschwisterlichem Frieden, könnte ein Zeichen für die bleibende Nähe Gottes sein. Befreiung von politischer und sozialer Unterdrückung, von ideologischer Abhängigkeit, vor allem von tiefen inneren Ängsten durch den Glauben an Christus, könnte der Beitrag der christlichen Kirche für die Menschen unserer Zeit sein.

Selbst befreit durch Gottes gnädiges Wort, sind wir aufgerufen, Zeichen der Freiheit und des Friedens für andere zu sein.

Prof. Dr. Rolf Decot CSsR