3. Sonntag im Jahreskreis (A)

Predigtimpuls

„Der Einheit dienen – Christliche Streitkultur“

1. Lesung: Jes 8,23b - 9,3
Zwischengesang: www.antwortpsalm.de
2. Lesung: 1Kor 1,10-13.17
Evangelium: Mt 4,12-23

Spannungen in der Gemeinde gehören zum täglichen Brot der Seelsorge 

Wenn wir einmal überdenken, wodurch wir neue Erkenntnisse erwerben oder unser Erfahrungswissen bereichern, so stoßen wir auch auf einen Weg, der meist schmerzlich zu gehen ist. Denn Meinungsunterschiede, Auseinandersetzungen, Spannungen, ja Streit können Anstoß sein, Klarheiten herbeizuführen, Gedanken präziser darzulegen und vertieftes Wissen sich anzueignen. Die Kirchengeschichte zeigt von den ersten Tagen an, wie die meisten amtlichen Glaubensaussagen Antworten auf irrige Glaubenslehren waren. Das zeigte sich schon auf dem „Apostelkonzil“. Heute wird gern von einer notwendigen „Streitkultur“ auch in unseren Gemeinden gesprochen. Gemeint ist damit, dass Auseinandersetzungen so angegangen und aufgearbeitet werden, dass jeder Beteiligte dadurch bereichert wird, und die gelungene Bewältigung des Konfliktes Zusammenarbeit fördert und Einheit stärkt. Der Apostel Paulus berichtet uns in der heutigen Lesung, dass es in der Gemeinde zu Korinth Spannungen gab, die die Einheit bedrohten. Es gab Spannungen, die sich aus der sozialen Zusammensetzung der Gemeinde ergaben (1Kor 11,17-22). Die Weltstadt Korinth war ein buntes Gemisch aus verschiedensten Nationalitäten, war Heimat für Wohlhabende und Arme, vereinigte Menschen mit den unterschiedlichsten Vorstellungen und Ansprüchen. Diese Vielfalt in der Zusammensetzung der Stadt spiegelte sich auch in der jungen christlichen Gemeinde Korinths wider, die damit Sprengkraft zum Auseinanderbrechen in sich trug. Die Reichen hatten mehr Zeit, kamen früher zu den Gottesdiensten, setzten sich zusammen und grenzten so die Ärmeren, die zuerst ihrer Arbeit nachgehen mussten, aus. In der heutigen Lesung geht es um Spannungen, die sich aus einer Art „Personenkult“ ergaben. Die Leute verglichen die Missionare, die ihnen den Glauben verkündeten, und bildeten „Fan-Clubs“. Da gab es die Gruppe derer, die zu Apollos gehörten, der redegewandt auftrat, die christliche Botschaft in wohlgesetzten Worten vortrug und mit seiner „Weisheitslehre“ besonders bei Gebildeten Anklang fand; da gab es die Gruppe, die sich auf Kephas berief, der wohl durch die Autorität seines Amtes auf bestimmte Leute Eindruck machte; Paulus war wohl nicht anziehend von Gestalt und konnte vielleicht seine gesundheitlichen Gebrechen nicht verbergen, aber um der Klarheit der Botschaft Christi willen verzichtete er auf schöne Worte und geschliffene Wendungen. Er wollte niemandem nach dem Munde reden. Diese „Bekenntnisse“, diese „Konfessionen“, die Anhänglichkeiten an bestimmte Personen, stellten die Gemeinde auf eine Zerreißprobe. Wohl jede Gemeinde kennt auch heute solche Spannungen. Wir kennen die Gruppen, die sich einem Drewermann zugehörig wissen, andere einem Lefèbvre. Oder die einen schwören auf den Pfarrer, die anderen auf den Kaplan, wieder andere auf den Diakon oder die Pastoralreferentin. Die Situation von Korinth ist immer wieder anzutreffen. Wirkliche Einheit gelingt nur, wenn die Vielfalt nicht als Gefahr oder lästiges Übel, sondern als Bereicherung angesehen wird. 


Schritte zu einer hilfreichen „Streitkultur“  

Paulus suchte eine tiefergehende Spaltung in der Gemeinde von Korinth zu verhindern. An seinem Vorgehen können wir Schritte zu einer „Streitkultur“ ablesen. Zunächst ist es wichtig, dass eine Spannung, ein Konflikt zur Sprache gebracht und nicht unter den Teppich gekehrt wird. Verdrängte und verheimlichte Spannungen lahmen das Leben und blockieren Wachstum und Entwicklung. Es wird Paulus nicht leicht gefallen sein, zur Kenntnis zu nehmen, dass die junge Gemeinde in Korinth keine Idealgemeinde war, sondern eine Gemeinde mit vielen Menschlichkeiten. Es erfordert Demut, öffentlich zuzugeben, dass etwas nicht vollkommen ist; dass eine Gemeinde nicht so lebt, wie es der Botschaft Christi entsprechen müsste. Es macht bescheiden, öffentlich zuzugeben, dass die Kirche eine Kirche der Sünder ist. Erst in einer Haltung, die den Konflikt als vorhanden anerkennt und ihn annimmt, ist es auch möglich, ihn aufzuarbeiten.  

Paulus zeigt dann einen dritten Schritt auf: ein Konflikt muss „kämpfend“ und „ringend“ ausgetragen werden. Man muss aufeinander zugehen, nicht einander aus der Ferne verketzern; man muss miteinander reden, nicht einander zum Schweigen bringen. Eine Auseinandersetzung auf Distanz ist schwerlich möglich. Wer auf Distanz bleibt, kann nicht abschätzen, was Worte und Angriffe ausrichten. Als Paulus mit Petrus in Antiochien eine Auseinandersetzung hatte, da schreibt Paulus: „Ich trat ihm Aug‘ in Aug‘ entgegen“ (Gal 2,11). Aus der Nähe spüre ich erst, wie der andere, „der Gegner, das Gegenüber“ als Mensch reagiert, wie ihm vielleicht Tränen in die Augen kommen. Das lässt einen behutsamer werden. Bei jedem Konflikt spielen Argumente vom Verstand und vom Gefühl her mit. Miteinander „kämpfen“ heißt, seine Argumente austauschen, das Gewicht der Begründungen vergleichen; sich nicht von schönen Worten, von „Weisheitsreden“ täuschen lassen. Paulus geht es nicht um die Schuldfrage, sondern er möchte die Beteiligten zum gemeinsamen Fundament hinführen, zu Christus. „Wurde etwa Paulus für euch gekreuzigt?“ (V 13). Paulus sucht das Verbindende zu retten, nämlich die Gemeinschaft mit Christus, die in der Taufe verwurzelt ist. In einer Solidarität, in einer Verbundenheit, die aus der Zugehörigkeit zu Christus erwächst, werden reiche Leute nicht die armen, anspruchsvolle nicht die einfältigen, vornehme nicht die Randexistenzen übersehen. Wo eine solche Solidarität in der Gemeinde fehlt, ist die Einheit der Gemeinde an der Wurzel gefährdet. Die Solidarität Gottes mit allen Menschen hat sich jedoch im Kreuz Christi vollendet und nicht in schönen Worten, in einer „Weisheitslehre“. Dieser Botschaft vom Kreuz weiß sich Paulus verpflichtet, und er will nicht durch „schöne und kluge Worte“ (V 17) „das Kreuz Christi um seine Kraft bringen“. 


Neue Einheit ermöglicht neue Zukunft 

Ziel jeder „Streitkultur“ ist, eine neue, bessere und tiefere Einheit zu erreichen. Wenn nach einer Konfliktbewältigung in einer Gemeinde wieder miteinander gefeiert und gebetet, geschwiegen und gesungen werden kann, werden die Früchte des ,Kämpfens“ sichtbar. Es ist eine Ermutigung zu neuem Leben. Paulus hatte mit seinem Brief die Korinther traurig gemacht (vgl. 2Kor 7,5-16), aber das tat ihm nicht leid. Er schreibt: „Jetzt freue ich mich, nicht weil ihr traurig geworden seid. Sondern weil die Traurigkeit euch zur Sinnesänderung geführt hat. Denn es war eine gottgewollte Traurigkeit: … Die gottgewollte Traurigkeit verursacht nämlich Sinnesänderung zum Heil“ (2Kor 7,9.10). Jede gelungene Konfliktlösung vertieft die Einheit in der Gemeinde, wird zu einer Hoffnungsstraße zur größeren Einheit in der Kirche und in den Kirchen und schenkt damit Zukunft.

P. Dr. Werner Prawdzik SVD - [Anmerkung der Redaktion: Die von P. Prawdzik verfasste Predigt wurde bereits veröffentlicht in: DIE ANREGUNG, Nettetal 1999; S. 22-24]