30. Sonntag im Jahreskreis (A)

Predigtimpuls

.

1. Lesung: Ex 22,20-26
Zwischengesang: www.antwortpsalm.de
2. Lesung: 1Thess 1,5c-10
Evangelium: Mt 22,34-40

Schwestern und Brüder, liebe Gemeinde!

Nichts für Populisten ist unsere heutige erste Lesung. Knallhart fordert Gott Erinnerung ein. Ohne Pardon sollen diejenigen, die die harte Lebenssituation von Menschen, die vom Schicksal schwer gebeutelt worden sind, plötzlich am eigenen Leib und im persönlichen Alltag erfahren. Sie sollen spüren, was es heißt, auf Hilfe angewiesen, fremd, heimatlos zu sein, den Lebensunterhalt nicht sichern zu können, und dann noch Menschen gegenüberzustehen, die Elend und Not schamlos ausnützen.

Ganz konkret sind die Anweisungen für Darlehen. Jeder Schritt, der dazu neigt, den Bittsteller zu übervorteilen, seine Situation auszunützen, wird mit glasklaren Worten verboten. Nicht einmal der wärmende Mantel darf als Pfand behalten werden. Denn: Die Nächte in der Wüste sind eiskalt. Und außer dem Mantel hat der Arme keine Decke. Den Mantel wegnehmen heißt, das Gegenüber dem Erfrierungstod aussetzen. Ob der reiche im warmen Haus soweit denkt?

Gott bezeugt sich an dieser Stelle wieder einmal als der, der Mitleid hat, dessen Sympathie den Menschen gilt, ganz besonders den Armen und Chancenlosen, den Verlierern und Gescheiterten.

Ich möchte uns gar nicht ausmalen, was diese Worte angesichts unseres Wohnungsmarktes und seiner Mietpreise, angesichts von Zwangsräumungen und Obdachlosigkeit bedeuten können. Die Beraterinnen und Berater unserer Schuldnerberatungsstellen können ihren Klienten zwar sagen, dass Gott Mitleid mit ihnen hat. Aber dadurch bekommen sie keine Wohnung, keinen Schuldenerlass, keine Chance zum neuen Beginn, keine Begleitung zum Lernen, zum veränderten Lebensstil, zu größerer Achtsamkeit und entsprechendem Umgang mit den materiellen Dingen. 

„Selber schuld!“ zu rufen ist wohl zu wenig, auch wenn viele zugeben müssen, dass sie sehenden Auges in ihre Misere gesteuert sind. Soziales Engagement, Hilfe zum Leben und Überleben ist gefragt. Und: Nicht nur der Nachbar ist als Helfer gemeint, sondern ich bin es auch.

Klar werden wir sagen: Ich nütze doch niemanden aus! Ich ziehe niemanden über den Tisch! Ich nehme nur, was der Markt hergibt. Dennoch bin ich der festen Überzeugung, dass Hilfe angesagt und oft auch möglich ist.


Paulus berichtet von der Gemeinde in Thessaloniki, dass sich weit und breit herumgesprochen hat, wie sehr der Glaube an Gott ihr Leben prägt. Der Glaube an die Auferstehung, der Blick auf den gekreuzigten, sich liebevoll verschenkenden Herrn, der Inhalt der Frohen Botschaft wurde von den Christen dort so richtig internalisiert.

Die Menschen in der Gemeinde waren auch nicht auf Rosen gebettet. Paulus spricht von großer Bedrängnis, die die Gemeinde ausgehalten und durchgetragen, für die sie in der Frohen Botschaft Kraft und Hoffnung gefunden hat. Sie geben der weiten Umgebung ein Vorbild. Anscheinend sind die Früchte der Liebe, zu denen Gottes Geist befähigt hat, nicht zu übersehen. Umsonst würde Paulus hier nicht so überschwänglich loben. Dabei wissen wir alle, dass sich Liebe, Bereitschaft zum Teilen, Hilfsbereitschaft nicht verordnen und nicht erzwingen lässt. Als freies Geschenk erwächst die größte Freude. Und Lob enthält eine gewaltige Motivationskraft.

Ich finde es immer wieder spannend in die Gespräche von Menschen hineinzuhören, wenn sie über unsere Pfarrgemeinde sprechen. Was hört man von uns? Wird die geschenkte Nächstenliebe bewundert? Unterscheiden wir uns von denen, deren Leben sich nur um die Mehrung von Geld und Besitz dreht? Gibt es ablesbares Verhalten, dass Menschen in ihrer Not bei uns wahrgenommen werden und Hilfe erfahren?

Schön wäre es! Unsere Glaubwürdigkeit und unsere Anziehungskraft als Christen würden spürbar wachsen. Papst Franziskus ermutigt immer wieder neu dazu. Liebe auf unsere Möglichkeiten anwenden, herunterbrechen, in konkrete Schritte umsetzen, das ist eine wichtige und eine spannende Aufgabe, immer wieder neu.

Wir wissen alle um die entsprechenden Gebote. Wir erleben aber auch, wie weit weg wir oft von ihrer konkreten Umsetzung sind, wie sehr wir uns trotzdem wünschen, dass sie zur Tat werden, wenn wir selber Hilfe, Zuneigung, Trost, Unterstützung und Zuwendung brauchen.

Das „Liebesgebot“, von dem Jesus im Evangelium spricht, müssen wir bei all unserem Tun im Kopf und im Herzen haben. Es ist dringend nötig, dass wir es in allen drei Ausrichtungen ernst nehmen und gelten lassen. 

Nur wenn ich mich selber mag, liebe, schätze, kann ich andere Menschen, kann ich Gott lieben. Nur wenn ich um meine Mitmenschen, so nervig sie auch manchmal sein können, keinen Bogen mache, mit ihnen nicht im Streit verharre, kann ich Gott lieben. Immer wenn ich Vergebung schenke, über meinen Schatten springe, zeige ich dass ich Gott liebe. Wenn ich Gott so liebe, wird mich seine Liebe so sehr durchdringen, das ist sein unüberbietbares Geschenk an uns, dass ich die Kraft finde, immer neu ein Liebender, eine Liebende zu sein.

Wer sich selbst nicht mag, ist auch für andere unausstehlich. Wer Gott anhimmelt, aber den Mitmenschen gegenüber ekelhaft und böse ist, schlecht redet, Unwahrheiten verbreitet, wird nicht verstanden haben, was Gottesliebe meint. ER, Gott, hat uns zuerst geliebt. Weil wir Geliebte sind, können wir Liebende werden. Gott liebt mich ohne Wenn und Aber, trotz meiner Ecken und Kanten - und genauso liebt er meine Mitmenschen mit ihren Fehlern und Schwächen, in ihrer konkreten Gestalt.

Ich glaube, dass wir mit diesem Gebot nie fertig werden, dass aber hundertprozentig stimmt, was die heilige Therese von Lisieux formuliert hat: „Ich habe es nie bereut, mich für die Liebe entschieden zu haben.“


Es wäre großartig, könnten wir das über unser Leben, unseren Weg, unser Verhältnis zu Gott und den Menschen auch sagen. Dabei geht das nicht ein- für allemal. Im Gegenteil: Diese Entscheidung muss und darf ich immer und immer wieder treffen. Und immer und immer wieder wird sie mir nicht nur leicht fallen und locker gelingen, sondern oft auch meine ganze Kraft, meinen starken Willen, ja sogar manche Überwindung brauchen. Und trotzdem glaube ich: Wir werden es nie bereuen, uns für die Liebe entschieden zu haben, auch dann nicht, wenn wir deshalb ausgenutzt und übervorteilt wurden, keine Resonanz gefunden haben oder sogar ausgelacht worden sind.

Dann sind wir bei Jesus in bester Gesellschaft, erfahren wir Schicksalsgemeinschaft mit ihm und genießen seine Sympathie.

Amen.

 

Pfr. Albert L. Miorin