34. Sonntag im Jahreskreis - Christkönigssonntag (A)

Predigtimpuls

Erbarmungswürdige Menschen

1. Lesung: Ez 34,11-12.15-17
Zwischengesang: www.antwortpsalm.de
2. Lesung: 1Kor 15,20-26.28
Evangelium: Mt 25,31-46
Zum Kantillieren des Evangeliums: www.stuerber.de

Mittelalterlicher Titel passt nicht 

Christus als König? Jesus bezeichnete sich selbst nicht als König. Nur als Pilatus ihn fragte, ob er der König der Juden sei, stimmte er zu (vgl. Lk 23,3). Deshalb stellt sich die Frage: Ist es vorteilhaft, Jesus mit dem Titel König zu verehren?

Ein König im Mittelalter beschützte seine Untertanen. Diese waren ihm dafür verpflichtet, Abgaben zu zahlen, ihm zu gehorchen, Kriegsdienst zu leisten, usw. und ihn zu ehren. Die meisten seiner Untertanen kannte der König nicht persönlich und sahen ihm niemals in die Augen. Sie mussten sich vor ihm verbeugen. 

Zusammen mit der Leibeigenschaft gegenüber ihren Herren lebten die Bauern wie Sklaven. Daraus wird klar, dass es unglücklich ist, Jesus mit einem König zu vergleichen.

Christus schenkt mehr als er einfordert 

Jesus fordert nicht ständig etwas von seinen Anhängern ein. Er tut zuerst einmal etwas für sie. Er ging so weit, sein Leben für uns zu opfern. Er beschenkt uns mit unendlich wertvollen Gaben. Die wertvollste von allen ist das ewige Leben. Jesus gewährt „seinen Leuten“ ewiges Leben. Gewiss erwartet er von den Christen Loyalität, besonders von denen aus seinem engeren Kreis. Diese Treue zu Jesus sollte sich dann in der konkreten Lebensführung zeigen. Die Beziehung zwischen Jesus und den Christen lebt vom Geben und Nehmen. Jesus prägt das Leben seiner Treuen entscheidend. Deshalb verglichen Mystiker die Beziehung zwischen Jesus und seinen Gläubigen mit einer Ehe, wobei Jesus immer derjenige ist, der mehr gibt als er erwartet; und als ein Mensch je geben könnte.


Erbärmlich 

Durch sein Leben, sein Sterben und seine Auferstehung zeigte uns Jesus, dass wir alle erbarmungswürdige Menschen sind. Im Wort „erbarmungswürdig“ steckt sehr viel drin. Es weist darauf hin, dass alle Menschen Nachsicht, Rücksicht und Barmherzigkeit benötigen weil eben alle Menschen unvollkommen sind. Um Jesus als Freund zu haben, sollte man zuerst einsehen, dass er uns sein Erbarmen schenkt. Es gibt viele Menschen, die sich selbst für fähig, großartig und mächtig halten. Mit dieser Haltung dreht man sich um sich selbst und kommt nicht in einen persönlicheren Kontakt mit Jesus. Man kann zu Jesus nur „Du“ sagen, wenn man sich ihm anvertraut und weiß, dass man ihn braucht. Alles fängt damit an, dass man sich selbst sagt: „Ich bin ein erbarmungswürdiger Mensch.“ Mit diesem Bekenntnis verändert sich der Mensch.

Sind in einer Gemeinschaft viele davon überzeugt, erbarmungswürdig zu sein, dann gehen sie auch menschlicher miteinander um, und es entsteht eine rücksichtsvolle und liebevolle Gemeinschaft.

Würdig 

Erbarmungswürdig meint nicht nur, dass wir erbärmlich sind, sondern auf der anderen Seite auch würdig. Um das zu verdeutlichen ein Beispiel: Sie alle kennen solche Situationen, in denen man einem anderen hilft. Als Helfender zeigt man: „Ich kann etwas. Ich bin gut. Ich tue etwas für dich.“ Als Empfänger wird man zu einem Bedürftigen, der sich klein und abhängig fühlt, weil er auf Hilfe angewiesen ist. Der Bedürftige freut sich zwar über die Hilfe, gleichzeitig wurde ihm aber auch bestätigt, dass er der Hilfe bedarf. 

Der Dichter Rainer-Maria Rilke lebte eine Zeit lang in Paris und zeigte, dass es auch anders geht. In Paris kam er mit seiner Begleiterin täglich zur Mittagszeit an einer Bettlerin vorbei. Seine Begleiterin gab der Bettlerin jedes Mal eine Münze. Die Bettlerin blieb regungslos. Rilke gab nichts. Eines Tages legte er eine weiße Rose in die Hände der Bettlerin. Daraufhin blickte die Arme auf und küsste ihm die Hand. Eine Woche lang sah man sie nicht. Als sie nach einer Woche wieder bettelte, fragte Rilke, von was sie denn die Woche über gelebt habe. Da antwortete die alte Bettlerin: „Von der Rose.“ 

So macht es Jesus auch mit uns. Er weiß zwar: Wir sind bedürftig, wir haben unsere Fehler und Schwächen – und er kennt sie besser als wir selbst -, aber er behandelt uns nicht als Bettler. Er sieht in uns würdige Geschöpfe, die er aus tiefstem Herzen liebt und für die er bereit ist, alles zu geben. Wir müssen gewissermaßen nicht vor ihm im Dreck rutschen und mit ängstlichem Blick kaum nach oben zu schauen wagen. Wir sind nicht seine Sklaven. 

Wir können vor ihm aufrecht stehen und er schaut uns in die Augen und umarmt uns, sobald wir zulassen, dass er auch unsere Schattenseiten sehen darf. Er gibt uns mehr als wir erwarten können. Er sagt uns zu, dass wir an seiner Freude und an seinem ewigen Leben schon jetzt Anteil erhalten und später einmal in Fülle beschenkt werden, so dass es uns an nichts mehr fehlen wird.


Sofern auch wir in uns selbst und alle Menschen als erbarmungswürdige Geschöpfe sehen und auch anderen so gegenüber treten, beginnt Jesus mit uns eine ganz persönliche und tiefe Beziehung. Er wird zu unserem Freund.

P. Oliver Heck SVD