2. Sonntag der Osterzeit - Sonntag der göttlichen Barmherzigkeit – Weißer Sonntag (A)

Predigtimpuls

1. Lesung und Evangelium

1. Lesung: Apg 2,42-47
Zwischengesang: www.antwortpsalm.de
2. Lesung: 1Petr 1,3-9
Evangelium: Joh 20,19-31
Zum Kantilieren des Evangeliums: www.stuerber.de

Ist jemand von unseren Lieben verstorben, so pflegen wir den schönen Brauch, zum Grab zu gehen und uns seiner zu erinnern. Ist eine uns sehr nahestehende Person aus dem Leben geschieden, so gibt es Viele, die weiterhin so tun, als würde sie noch mit ihnen sein: sie sprechen mit ihr, fragen sie, wie sie es findet, was gerade geschieht oder was ihr Rat zu einer Sache ist, beten mit ihr, sprechen Liebesworte zu ihr usw. Dabei wird unsere Beziehung über den Tod hinaus von dem gespeist, was wir zu Lebzeiten mit der Person erlebt haben. Wir erinnern uns an gemeinsame Erlebnisse aus der Vergangenheit und projizieren diese auf die Gegenwart, um uns den Eindruck zu geben, die Person sei noch da.  

Mit Jesus läuft das ganz anders. Das Grab, zu dem die Jünger am Ostermorgen gehen, ist leer. Wie schrecklich, wenn einem nicht einmal die Möglichkeit bleibt, über den Ort der Bestattung mit der geliebten Person in Verbindung zu bleiben! 

Die Trauer über die schrecklichen Ereignisse, die Enttäuschung darüber, dass Gott Jesus nicht vor Verurteilung und Tod gerettet hat, und die Angst, dass es einem selbst so ergehen könnte, sie scheinen in der Gebetsversammlung der Jünger das bewegende Motiv zu sein. Die Türen sind zu. Doch da erscheint auf einmal Jesus in ihrer Mitte. Nicht als Erinnerung, wie es einmal mit ihm war, nicht als schöne Phantasie: „Wenn er jetzt hier wäre, dann...“ - nein, er ist wirklich anwesend. Wie sollen wir aufgeklärten Westeuropäer uns so etwas vorstellen, wenn wir nicht an Spuk und Zauberei glauben wollen? Sollen wir glauben, dass Jesus durch die Wände ging?

Nein! Aber Jesus ist eben weit mehr als nur die historische Person mit Geburts- und Sterbedatum. Jesus ist Sohn Gottes. Wir können das auch ausweiten, indem wir sagen: Er ist die Sohnschaft Gottes oder besser noch die Kindschaft Gottes. An seinem Leben lesen wir etwas Grundlegendes für unser eigenes Menschsein ab: Wir alle sind gerufen, als Kinder Gottes in familiärer Verbindung mit dem Vater zu leben. Jesus ist die Verkörperung dessen, was ein Mensch nur sein kann. Oder mit gängigeren Worten: Jesus ist unser Weg, er ist unsere Wahrheit, ja, er ist unser Leben. Jesus lädt uns ausdrücklich ein, in ihm zu leben, damit er auch in uns leben kann. Und das ist das Ostererlebnis des heutigen Sonntags: Die Jünger erleben, wie Jesus, der zuvor noch an ihrer Seite auf der Erde unterwegs war, nun, nach der Auferstehung, in ihrer Mitte lebendig ist: in der Mitte der Gemeinschaft und in der Mitte ihrer eigenen Person. Hier beginnt der Auferstandene zu leben als die uns innewohnende Einladung zur vollkommenen Entfaltung des von Gott geschenkten Menschseins. 

Da wirken andere Kräfte als bei der normalen Erinnerungskultur für Verstorbene. Jesus wird als wirklich - und das heißt als wirkmächtig - gegenwärtig erlebt in der Gemeinschaft derer, die auf ihn vertrauen. Nicht, weil sie eine gute Vorstellungsfähigkeit besäßen, sondern weil in ihnen durch Jesus die Gotteskindschaft erweckt wird und er sie aufstehen lässt zu ihrer größeren Gestalt. Das normale Gedenken an die Toten ist rückwärts-gerichtet. Die Begegnung mit Jesus gibt den Jüngern eine Sendung, die nach vorne weist: aus seinem Zuspruch des Friedens und der Gabe des Heiligen Geistes sollen sie die verschlossenen Türen der Angst überwinden und mit der Botschaft der Vergebung zu den Menschen gehen. Der Heilige Geist ist Jesus, lebendig in unseren Herzen, in unserem Denken und Handeln. 

Was bleibt einmal von uns, wenn wir von dieser Welt gegangen sind? Eine wichtige Frage, die wir uns wahrscheinlich alle stellen. Wir alle wollen doch irgendwie zu einer Verbesserung der Welt und des menschlichen Miteinanders beitragen, wir wollen positive Fußabdrücke hinterlassen, derer man sich gerne erinnert. Was von Jesus bleibt, ist, dass er bis heute immer noch Menschen dazu bewegt, ihre Barrieren der Angst zu überwinden und das Wagnis einzugehen, einander in Vergebung und Frieden anzunehmen. Bewusst hat Jesus selbst nie etwas schriftlich niedergelegt, weil sein Geist nur im Herzen lebendig sein kann, nicht aber auf Papier. Mit geschriebenen Worten kann man gegeneinander streiten und kämpfen, den Geist kann man jedoch nur in ein empfangsbereites Herz eingegossen bekommen.

Wo immer Menschen sich aus der Verbindung mit Jesus ein Herz fassen und einander beistehen in der Not, das Brot miteinander brechen und in Geduld und Vergebungsbereitschaft immer wieder neu einander annehmen, da entsteht eine neue Art von Miteinander. Wir haben es in der Lesung aus der Apostelgeschichte gehört: „Sooft jemand in Not war, verkaufte einer sein Grundstück oder anderen Besitz, und half mit dem Geld den Armen in der Gemeinde. Täglich kamen sie in großer Treue im Tempel zusammen. In ihren Häusern trafen sie sich, um miteinander zu essen und das Mahl des Herrn zu feiern; ihre Zusammenkünfte waren von großer Freude und aufrichtiger Herzlichkeit geprägt“ (Apg 2,45-46).

Unsere Kirche bekommt dann neue Leuchtkraft, wenn wir unsere eigenen Verlustängste überwinden und im Vertrauen auf unsere gemeinsame Mitte, auf Jesus, an einem guten Miteinander bauen. Ohne die Erfahrung des wirklich, lebendig anwesenden Jesus geht das nicht. Er lebt in deinem Herzen und wartet darauf, mit dir Gottes Reich zu erschaffen. Steh auf mit ihm zur größeren Gestalt deines Lebens, damit Auferstehung Wirklichkeit wird und von allen Menschen erfahren werden kann.

P. Thomas Heck SVD