Abbild-Welt

Mag ein Ereignis auch in einem noch so weit entfernten Land und an einem kaum zugänglichen Ort der Erde stattfinden,

wir können es, dank unserer Medien, hautnah miterleben. Die Bilokation, die bisher als unerreichbar galt, wurde möglich. Bald werden wir nicht nur an zwei Orten, beim Abendbrot zuhause und zugleich unter Slum-Bewohnern Südamerikas sitzen können, sondern auch – vorausgesetzt wir schalten schnell genug von einem Fernsehkanal in einen anderen - wie Gott allgegenwärtig sein: wenn sich in den Bergen eine Lawine löst, wenn irgendwo die Erde bebt, wenn Forscher sich auf einer Expedition in der Antarktis befinden, wenn in einem Stadion ein Ball über eine Torlinie rollt oder Astronauten unterwegs im Weltraum sind.
Aber während wir Heutigen diese Omnipräsenz, diese Allgegenwart, die die Medien möglich machen, genießen, erliegen wir der Illusion: Wir heute würden – dank der Medien – mehr von der Welt erfahren und hätten einen sehr viel größeren Erkenntnishorizont als die vielen Generationen vor uns, die kaum über ihre beschränkte Umwelt hinaus blicken konnten.
Vielleicht nehmen wir mehr wahr von unserer Welt. Aber es ist weithin nicht die Welt wie sie ist, sondern eine Reproduktion von Welt, wie sie ein Kameramann elektronisch aufgenommen, für uns ausgewählt und festgehalten hat. Und wir hören immer nur Antworten auf Fragen, die nicht wir gestellt haben. Wir sind in Abhängigkeit geraten. Das, was wir sehen ist eine Abbild- oder Ausschnitt-Welt.

Walter Rupp, SJ