Satire

Einen literarischen Knigge gibt es noch nicht, obwohl er - vor allem für Satiriker - dringend nötig wäre:

damit sie seltener gegen den guten Geschmack verstoßen und ihre Lust an Pöbeleien und an der Häme zähmen. Schiller, der die Satire in der Wertschätzung an den Rand der Dichtkunst rückte, meinte, die "lachende Satire" könne nur einer "schönen Seele" entspringen. In mittelmäßigen Händen werde sie zum Spott". Geistloses Veralbern ist eine Missbildung der Satire, die die Übel aufspießen und davon abschrecken will, aber auf menschenfreundliche und nicht auf menschenverachtende Weise.
Ein Satiriker will sezieren und kommt dabei ohne Messer - das ist sein Handwerkszeug - nicht aus. Aber Sezieren ist etwas anderes als Schlachten. Es gilt, Geschwüre, Krankheitsherde, möglichst schonend zu entfernen. Weil dem Satiriker kein Anästhesist mit seinen Betäubungsmitteln zur Seite steht, muss man es ihm nachsehen, wenn ihm eine schmerzfreie Behandlung meistens nicht gelingt. Schon Sokrates erlaubte sich, mit dem Götterglauben seiner Zeit ironisch umzugehen, aber er erlaubte sich nie, die Menschen und ihre Würde zu verletzen. Auch die Gläubigen sollten bereit sein, Ironie zu ertragen, sofern sie nicht beleidigend, sondern witzig und geistreich ist. Aber sie haben bis heute auf ihre Frage noch keine Antwort erhalten, warum die Satiriker vornehmlich Christen zur Zielscheibe ihrer Satire machen, Nichtchristen aber schonen.

Walter Rupp, SJ