Die Rolle

Für die große Weltbühne gibt es keinen Regisseur, der jedem für das Drama, das gespielt wird, seinen Text und seine Rolle zuteilt.

Jeder muss da seine Rolle selber finden. Aber wie wenige suchen nach ihrer Rolle? Die meisten greifen nach irgendeiner Rolle, die gerade zu besetzen ist, ohne zu fragen, ob sie dafür überhaupt geeignet sind.
In Filmen oder Lustspielen mag das angehen, dass da einer in verschiedene Rollen wechselt; dass ein Father Brown, der eigentlich als Seelsorger mit der Betreuung seiner Herde, wenn er seinen Beruf ernst nähme, ausgefüllt wäre, sich lieber als Detektiv betätigt, und akribisch ungeklärte Kriminal-Fälle klärt. Aber das familiäre Zusammenleben würde unerträglich, wenn der Mann sich zum Lehrer seiner Frau, und die Frau sich zur Erzieherin ihres Mannes machen würde oder Eltern die Freunde ihrer Kinder sein möchten. Sobald ein Vorgesetzter meint, er müsse auch noch das Privatleben seiner Untergebenen regeln, oder wenn ein Journalist sich nicht auf seine Berichterstattung beschränkt, sondern einen nicht erbetenen Nachhilfeunterricht erteilt, wird dieser Rollentausch auf Ablehnung stoßen. In einer Gesellschaft muss die Aufgabenverteilung klar sein: da darf nicht der eine das, was ein anderer zu tun hätte, tun, und das, was ihm aufgetragen ist, anderen überlassen, sonst gerät die Ordnung durcheinander.
Wenn auf der Weltbühne so viel daneben geht, so viel Klamauk entsteht, ja häufig nur Räuberstücke, Possen oder Schmierentheater geboten wird, liegt das nicht nur daran, dass die Mitwirkenden auf ihre Rolle schlecht vorbereitet sind und sie schlecht spielen. Der Grund ist vor allem der Tatsache zuzuschreiben, dass viele sich überschätzen und meinen, sie könnten die Rolle eines anderen genauso gut spielen.

Walter Rupp, SJ