Verrückt

Eine Gesellschaft braucht nicht nur normale und ordnungsliebende Bürger, davon haben wir genug.

Sie sollte sich auch ein paar ‘Verrückte‘ leisten, die sich nicht so leicht einordnen und an den gewohnten Vorstellungen und Verhaltensweisen rütteln. Denn es gibt immer etwas zu verrücken.
Diogenes, den die Mitmenschen - wegen seiner Lebensweise in einem Fass – für nicht ganz zurechnungsfähig hielten, erteilte ihnen Tag für Tag einen Anschauungsunterricht, wie viele Dinge es auf der Welt gibt, die man nicht braucht. Der bayerische König Ludwig, der statt teure Heere zu unterhalten lieber teure Schlösser baute, bewies seiner Umwelt, dass ein für geisteskrank erklärter Monarch vernünftiger handeln kann, als mancher vernünftige Staatsmann. Der durch seine Phantastereien berühmte Don Quichotte zeigte seinen Zeitgenossen, dass man die Welt, in der man leben möchte, erfinden kann. Das Loblied eines Erasmus auf die Torheit mag töricht erscheinen, es erinnert uns daran, dass in einer ‘Torheit‘ Weisheit stecken kann, und mancher Doktor weiter nichts als ein lächerlicher und aufgeblasener Nichtsnutz ist. Sokrates, den seine Zeitgenossen, wegen seiner Äußerung: „Ich weiß, dass ich nichts weiß“, für einen schrulligen Alten hielten, zwang alle Philosophen damit zu der Einsicht, dass nicht das Anhäufen von Wissen zur Erkenntnis führt, sondern das hartnäckige Fragen. Die sogenannten Verrückten haben oft dazu beigetragen, dass die Vernünftigen zur Vernunft gekommen sind.

Walter Rupp, SJ