Die Vernunft

Die Vernunft konnte sich auch in der modernen Welt noch nicht durchsetzen.

Die Vernunft konnte sich auch in der modernen Welt noch nicht durchsetzen. Für manchen Politiker ist es inzwischen selbstverständlich, dass er sich, bevor er etwas sagt, schon nicht mehr daran erinnern kann, was er sagen wollte und alles töricht findet, was er nicht selbst geäußert hat. Und mancher Journalist hat sich daran gewöhnt, auf Fragen zu antworten, die gar nicht gestellt worden sind, und so lange zu antworten, bis niemand mehr weiß, worüber geredet wird. 

Unsere Gesellschaft hält nichts von Narren, weil sie meint, man sei schon vernünftig, wenn man Narren verachtet. Man lässt sie nicht einmal mehr auf die Bühne, wo sie sich bisher austoben und Zuschauer zum Nachdenken bringen konnten. Moderne Theatermacher verabscheuen närrische Späße, die den Zuschauer nur ablenken. Sie werfen ihm lieber alle Zeitprobleme, derer sie habhaft werden konnten, an den Kopf und zwingen ihn, darüber nachzudenken. 

In einer Welt, in der es keine Narren gäbe, wäre es jedoch nicht auszuhalten. Denn wo die klugen Leute überhand nehmen, kann sich die Vernunft nicht mehr durchsetzen. Und wo man die Narrheit vertreibt, tobt sich die Torheit aus. Die Narren sind es, die im scheinbar Absurden das Vernünftige entdecken! Ohne sie würde das Gleichgewicht zwischen den Klugen und den Dummen kippen. Wir würden vor lauter Ernsthaftigkeit die Fähigkeit zu lächeln ganz verlieren. Es gilt, die vom Aussterben bedrohten Narren zu retten. Vorsicht! Denn der Narr, den man oft als Dummköpfe diffamiert, ist oft der noch nicht erkannte Weise.


Walter Rupp, SJ