Wunderkinder und verbummelte Genies

Die Verteilung von Talenten hat sich Gott nun einmal selber vorbehalten

Mozart wurde schon mit sechs Jahren bei Konzerten präsentiert. Noch ein Knabe, dirigierte er bereits Orchester und fing an, zu komponieren. Das macht ihm so leicht nicht einer nach. Er war eben ein Naturtalent, ein Wunderkind. Pascal, Franzose, Philosoph, Schriftsteller und Mathematiker zugleich, brachte die Mathematik sich selber bei. Mit 17 Jahren schrieb er bereits eine Abhandlung über Kegelschnitte. Das verrät überdurchschnittliche Begabung. So etwas hat man oder hat es nicht.

Die Verteilung von Talenten hat sich Gott nun einmal selber vorbehalten - und er handhabt sie ziemlich eigenwillig. Dem einen gibt er, weil es ihm gefällt, zehn Talente; einem andern, auch wieder, weil es ihm gefällt, nur fünf. Wir haben dabei nichts mitzureden und können, was wir bekommen haben, nur dankbar entgegennehmen. Könnten wir unseren Chromosomensatz selbst zusammenmixen, wir wären bei uns vermutlich weniger sparsam gewesen und hätten sicher noch einiges hinzugetan: etwas von Michelangelo oder Johann Sebastian Bach, etwas von Goethe und von Einstein. So hätten wir eine weit über dem Durchschnitt liegende Begabung und wären - so meinen wir - ein Universalgenie. Wie dumm! Wie falsch! Wie lächerlich. Als ob Talente schon allein genügten. Sie liefern nur das Material, welches für das Unternehmen nötig ist. Davon mag noch so viel vorhanden sein: Steine, Mörtel, Holz und Ziegel ergeben noch kein Haus. Dazu braucht es einen, der plant und in vielen mühevollen Stunden an die Arbeit geht. Nur so wächst der Bau und wird eines Tages fertig. Ob Technik, Kunst oder Wissenschaft - immer muss einer an die Arbeit, wenn etwas werden soll. Es hat sich noch kein Haus von selbst gebaut. 

Oft wird behauptet, nur alle hundert Jahre werde ein Genie geboren. Sind Wunderkinder und Genies wirklich so seltene Exemplare? Müsste man nicht vielmehr sagen: nur alle hundert Jahre wird einer geboren, der mit seinen Talenten wirklich etwas anzufangen weiß. Es gibt keinen Mangel an Talenten, nur die vielen, die ihre Begabungen verrosten lassen und die wenigen, die sich darauf verstehen, damit zu wuchern.


Walter Rupp, SJ