Sinn

Die Frage, welchen Sinn das Leben hat, und welche Richtung man seinem Leben geben soll, lässt sich auf Dauer nicht verdrängen.

Die Sinnsucher haben sich in unserer Zeit vermehrt. Die Frage, welchen Sinn das Leben hat, und welche Richtung man seinem Leben geben soll, lässt sich auf Dauer eben nicht verdrängen. Epikur gibt darauf kurz und lapidar die Antwort: „Der Sinn des Lebens ist das Leben selbst“. Und Thornton Wilder fügt hinzu: „Das Leben hat keinen Sinn, außer dem, den wir ihm geben.“ Grübeln führt nicht weiter. Jeder muss sich für eines der vielen Sinnangebote entscheiden: ob er stoisch, hedonistisch, idealistisch oder materialistisch leben will.
Ludwig Marcuse, der von den Kirchen Orientierungshilfen für den orientierungslos gewordenen Menschen unserer Zeit erwartet, erhebt den Vorwurf: Die Kirchen hätten eine „große Einsicht verheimlicht, dass der Mensch nicht einmal geschaffen wird, sondern zwei Mal. Der Mensch wird erst von Gott oder der Natur geschaffen“ - meint er - „und dann noch einmal von seiner Gesellschaft. Sprache, Religion, Gewohnheit werden ihm von der Gesellschaft aufoktroyiert.“ Aber da der Mensch nicht nur das Produkt der Natur und seiner Umwelt ist, muss er selbst einen Beitrag leisten und sich ein drittes Mal erschaffen, indem er die in ihm schlummernden Fähigkeiten weckt und zur Entfaltung bringt. 

Die heute praktizierten Selbstfindungsübungen führen vielleicht deshalb so selten zum Erfolg, weil man sich zu sehr darauf konzentriert, sich selbst beim Leben zuzuschauen und dabei versäumt, zu leben. Die meisten kommen heute deshalb nicht zum Leben, weil sie sich zu Voyeuren machen: entweder versuchen, in die verborgensten Winkel ihrer Seele vorzudringen, um sie gründlich auszuleuchten oder ihre Zeit mit der Beobachtung verschwenden, wie die anderen leben: ob sie stolpern oder Hürden überspringen. Sie merken dabei nicht, dass sie sich auf diese Weise neben das eigene Leben stellen.

Der Lebenssinn ist immer die Summe dessen, was einer aus seinem Leben macht. Das bedeutet: Sinnvoll leben kann nur, wer die Talente und die Möglichkeiten, die in ihm stecken, zur Entfaltung bringt.


P. Walter Rupp, SJ