Vergeben und vergessen

Vergeben wäre leichter, wenn man vergessen könnte.

Vergeben wäre leichter, wenn man vergessen könnte. Aber vergessen wollen, ehe man vergibt, gelingt fast nie. Man kann seinem Gedächtnis nicht befehlen, das will ich nicht mehr wissen! Darüber will ich mich nicht mehr ärgern! Da machen weder die Gedanken noch die Gefühle mit. Geschehenes lässt sich nicht wie mit einem Radiergummi ausradieren, unsichtbar oder gar ungeschehen machen. Man sollte deshalb versuchen, das Geschehene mit anderen Augen zu sehen. Das bedeutet nicht, sich einzureden: ich lasse mir dadurch meine Stimmung nicht verderben. Auch nicht, Unrecht einfach wegzulügen, böse Taten als nicht so schlimm, und Beleidigungen zu Missverständnissen umzudeuten. Man kann das, was man mit eigenen Augen gesehen hat, mit anderen, oder mit den Augen des anderen sehen. Anders sehen heißt nicht, etwas übertünchen und verklären. Es ist der Versuch, in Distanz zu gehen, zu dem, was ich empfunden habe, und meinen Standpunkt zu überprüfen: ob das, was gesagt wurde nur so zu verstehen ist, wie ich es verstanden habe, ob eine Äußerung wirklich Gift enthielt, ja, ob der andere wusste oder wollte, was er tat? 

Viele versäumen es, das Gute in Erinnerung zu behalten. Statt ihr Gedächtnis auszumisten, und das auszusortieren, was sich nicht aufzubewahren lohnt, pflegen oder kultivieren sie die falschen Erinnerungen und starren auf das, was sie durchmachen mussten und wie man mit ihnen umgegangen ist. So auferlegen sie sich eine Last, und wundern sich, dass sie unfroh und bitter werden.


P. Walter Rupp, SJ