Arbeit

Die modernen Gesellschaften haben in sozialer Hinsicht einen gewaltigen Schritt nach vorne getan und Arbeiter und Angestellte unabhängiger gemacht.

Wer heute die Arbeitsordnung für Londoner Angestellte aus dem Jahre 1870 liest, wird über die Vertragsinhalte entsetzt sein und sich darüber wundern, was sich Arbeiter und Angestellte einmal gefallen lassen mussten.  

„Alle Angestellten“ – heißt es darin – „haben dafür zu sorgen, dass der Ofen aufgeräumt, der Arbeitsraum gut geheizt ist und das Büro täglich vor Arbeitsbeginn gründlich ausgefegt wurde. Privatunterhaltungen während der Dienstzeit sind grundsätzlich unerwünscht und Angestellte, die sich politisch betätigen, werden fristlos entlassen.“

Da Angestellte während der Ferien, die es nur in dringenden familiären Fällen gab, und während einer Krankheit keinen Lohn erhielten, waren sie gezwungen, von ihrem Lohn eine gewisse Summe zurückzulegen oder trotz einer Krankheit zur Arbeit zu gehen. 

Die regelmäßige Arbeitszeit betrug damals zwölf Stunden. Wenn es die Arbeit erforderte, musste jeder Commis ohne Aufforderung Überstunden machen. Es wurde erwartet, dass sich jeder Angestellte des übermäßigen Tabak- und Alkoholgenusses enthält. Als Lektüre waren neben der Bibel nur Bücher erlaubt, die sittlich einwandfrei waren, also den sittlichen Maßstäben des Chefs entsprachen. 

Widersprechen galt als Respektlosigkeit dem Prinzipal gegenüber und blieb nicht ohne Konsequenzen. In der Arbeitsordnung standen Sätze, mit denen man jeden Angestellten schnell gefügig machen konnte: „Denken Sie immer daran, Tausende wären sofort bereit, Ihren Arbeitsplatz einzunehmen. Und vergessen Sie nicht, dass Sie Ihrem Prinzipal Dank schulden. Er ernährt Sie schließlich.“

Die modernen Gesellschaften haben in sozialer Hinsicht einen gewaltigen Schritt nach vorne getan und Arbeiter und Angestellte unabhängiger gemacht. Aber über eine Errungenschaften müssen sie sich noch Gedanken machen: wie das Recht auf Arbeit, das in den Papieren steht, auch eingefordert werden kann, und wie die vielen ohne Arbeit nicht nur Rechte erhalten, sondern eine Arbeit.


P. Walter Rupp, SJ