Führen

Jeder Mensch verrät durch sein Auftreten, seine Gesten, seine Stimme oder seinen Blick, ohne es zu wollen, mehr von sich als er zeigen möchte.

Wie kommt es, dass Schulkinder, ehe ein Lehrer den Klassenraum betreten hat, sofort spüren, was sie sich bei ihm erlauben können? Während sie den einen Lehrer ignorieren und munter weiterschwatzen, als wäre er nicht da, sind sie bei einem anderen sofort bereit, sich einzuordnen. Verfügen auch schon Kinder über Menschenkenntnis? 

Jeder Mensch verrät durch sein Auftreten, seine Gesten, seine Stimme oder seinen Blick, ohne es zu wollen, mehr von sich als er zeigen möchte. Jeder ist durchschaubar, mag er sich noch so reserviert verhalten, oder noch so geschickt, den, der er nicht ist, spielen. Keiner kann auf Dauer seine Schwächen vor anderen verbergen und den Schein von Sicherheit vortäuschen, wenn er sie nicht hat.

Der erfahrene Pädagoge weiß, dass die Kinder auf der Lauer liegen, ihn beim Stolpern zu ertappen, und ihn anfallen, sobald er Schwächen zeigt. Er darf die Zügel nicht aus der Hand geben, sie möchten, dass er führt. Und wenn sie opponieren und sich an ihm reiben, dann deshalb, weil sie seine Argumente kennenlernen und erfahren möchten, wie überzeugt er ist.

In den menschlichen Gesellschaften geht es meist nicht viel anders zu als in den Klassenzimmern. Es wird unruhig, wenn die Bürger spüren, dass die, die sie führen sollten, unsicher sind und etwas mit der Glaubwürdigkeit nicht stimmt. Autoritäten, Politikern oder Kirchenmännern bleibt nicht erspart, dass sie um ihre Anerkennung ringen und beweisen müssen, wie überzeugend ihre Argumente und sie selbst sind.


P. Walter Rupp, SJ