Geständnisdrang

Es hat den Anschein, dass wir Menschen einen unwiderstehlichen Hang zum Exhibitionismus mitbekommen haben.

Die Generation von heute leidet an einem ungezügelten Geständnisdrang und giert danach, vor einem Millionenpublikum zu beichten und dabei sogar auf Fragen zu antworten, die nicht einmal ein Beichtspiegel zu stellen wagt!
Wissen die, die sich da zur Schau stellen, was sie tun? Glauben sie, sie könnten sich durch dieses schonungslose Bloßstellen interessant machen? Stachelt sie ein Imponiergehabe an oder regt sich da das infantile Mitteilungsbedürfnis des Kindes, das auch noch im Erwachsenen steckt, und das Unvermögen, zwischen dem zu unterscheiden, was mitteilenswert ist, und dem, was man klugerweise für sich behalten sollte? 

Es hat den Anschein, dass wir Menschen einen unwiderstehlichen Hang zum Exhibitionismus mitbekommen haben. Vielleicht kommen sich die vielen, die sich da öffentlich ausziehen, vor wie der Kranke, der Genugtuung empfindet, wenn ein Medizinprofessor ihn wegen eines besonderen Tumors seinen Studenten als Demonstrationsobjekt vorstellt. 

Wer sich öffentlich prostituiert, muss wissen, dass er auf diese Weise seine Probleme nicht loswird. Für die Problembewältigung sind Kameras und Mikrofone hinderlich. Denn vor Zuschauern möchte man gut dastehen und Applaus erhalten. Man wird deshalb bestrebt sein, sich vorteilhaft herauszustellen, und das, was dem entgegensteht, verschweigen. In einer Atmosphäre mit Öffentlichkeitscharakter kann die Wahrheit nur schwer aufkommen.


P. Walter Rupp, SJ