Die Innenwelt

Im Innern eines jeden Menschen schlummert immer - behauptet C.G. Jung - eine zweite Person, eine latente Persönlichkeit, die größer und besser sein kann als die offenbarte.

Viele blicken am liebsten aus dem Fenster, nach draußen, wo es hektisch zugeht. Ihnen liegt wenig daran, hinter die Dinge zu blicken. Sie schauen und horchen nicht gern in sich hinein, vielleicht aus Angst, sie könnten dort Schlamm, Untiefen, gefährliche Strömungen, Schlingpflanzen und Untiere entdecken. Sie meiden die Innenwelt wie eine dunkle, geheimnisvolle Höhle, die sie den Höhlenforschern überlassen: den Psychologen und Seelsorgern, oder den Grüblern und den Dichtern. 

"Die Menschen hausen – schreibt Arthur Schnitzler - meistens nur im mittleren Stockwerk ihrer Lebensvilla, dort, wo sie sich behaglich mit guten Öfen und sonstigen Bequemlichkeiten eingerichtet haben. Selten steigen sie in die unteren Räume hinab, wo sie Gespenster vermuten, vor denen ihnen schaudern könnte." 

Die Innenwelt hat viele Räume, obere, mittlere und untere Stockwerke, einen Dachboden und einen Keller. Aber die meisten Menschen begnügen sich mit nur einem Raum. Sie lassen die vielen anderen Räume ihrer Wohnung zeitlebens ungenutzt und halten sie verschlossen, Räume in denen oft zeitlebens Werte unbeachtet liegen. 

Im Innern eines jeden Menschen schlummert immer - behauptet C.G. Jung - eine zweite Person, eine latente Persönlichkeit, die größer und besser sein kann als die offenbarte. Man sollte in alle Räume seines Inneren gehen, um dieses noch nicht entdeckte Ich, diesen wertvolleren Teiles der Persönlichkeit kennenzulernen und zur Entfaltung zu bringen.


P. Walter Rupp, SJ