Lektüre

"Lies keine guten Bücher, dazu ist die Zeit zu kurz, lies nur die besten."

Karl Kraus, der österreichische Kulturkritiker und Schriftsteller, gibt jedem Bücherfreund den Rat: "Lies keine guten Bücher, dazu ist die Zeit zu kurz, lies nur die besten." Leider hat er keinen Hinweis gegeben, wie sich die besten von den guten Büchern unterscheiden? Wo man die besten Bücher findet, und woran sie zu erkennen sind? Wer heute eine Buchhandlung betritt, steht vor einem Angebot an Büchern, das verwirrt und ratlos macht. Er bräuchte einen Röntgen-Blick, um zu erkennen, wie wertvoll der Buch-Inhalt ist. Es gibt Lektüren, meint Ernst Jünger, die Impfungen vergleichbar sind und wie ein Heilmittel wirken. Aber es gibt auch die Bücher, bei denen man sich den Virus, den ein kranker Autor in sich trägt, einfängt. Auch Bestsellerlisten, aus denen schließlich Bestellerlisten werden sollen, können auf der Suche nach den besten Büchern kaum weiterhelfen. 

Wie hoch ein literarisches Werk einzuschätzen ist, darüber wird man nie einer Meinung sein, weil es von der Bewertungsskala abhängt, die der Leser mitbringt. Nur der Leser kann beurteilen, was für ihn gut oder das Beste ist. Wurden die besten Bücher schon geschrieben? Besteht überhaupt die Aussicht, dass sie je geschrieben werden? Das Evangelium Jesu nennt sich nicht die beste, sondern nur die gute Botschaft, obwohl es keine bessere gibt. Was gut ist, ist auch oft das Beste.


P. Walter Rupp, SJ