Prognosen

Jeder, der auf Reisen geht, tut gut daran, zu überlegen, was auf ihn zukommen könnte.

Dem Historiker, der ein Bild von der Vergangenheit entwerfen möchte, stehen Relikte zur Verfügung: Bauruinen, Knochenreste, Werkzeuge, Tontafeln oder Schriften, aus denen er Rückschlüsse ziehen kann, wie die Menschen einst arbeiteten und lebten oder was sie dachten. Der Zukunftsforscher kann auf solche Materialien nicht zugreifen, denn die Zukunft hinterlässt noch keine Spuren. Dennoch wagt er Prognosen. Er lässt sich zwar nicht – wie Hellseher und Wahrsager - auf bestimmte Ereignisse ein und meidet es, Details zu nennen, aber er äußert sich doch über künftige Entwicklungen. Kann man, und was kann man über die Zukunft wissen? 

Man kann auch über die Zukunft etwas wissen, der Mensch steht nicht ganz im Dunkeln. Die Zukunft kommt nicht plötzlich und überraschend auf ihn zu. Sie zeichnet sich schon jetzt in Konturen ab, und kündigt schon am Morgen den Tag an: ob er regnerisch oder sonnig wird. Die Gegenwart weist, weil da schon die Weichen gestellt werden, in die Zukunft. 

Der Prognostiker schaut eigentlich nicht so sehr auf die Zukunft, sondern auf die Entwicklungen der jüngsten Zeit und zieht daraus Schlüsse. Er zieht die Linien, die sich abzeichnen, weiter und erlaubt sich Aussagen zu machen, allerdings immer unter einem Vorbehalt: Wenn das Wirtschaftswachstum weiter so stagniert ..., wenn der Ausbau des Schienennetzes gelingt ..., wenn die Bevölkerung in gleichem Maße schrumpft, dann wird in den nächsten 20 oder 50 Jahren ein bestimmter Zustand eingetreten sein. Er weiß, dass - wenn die Bedingungen sich ändern - auch die Entwicklung eine andere Richtung nimmt. 

Jeder, der auf Reisen geht, tut gut daran, zu überlegen, was auf ihn zukommen könnte. Auch die Menschheit kann sich nicht erlauben, ihre Reise in die Zukunft unvorbereitet anzutreten.


P. Walter Rupp, SJ