Zeit

Die vielen, die behaupten, sie hätten keine Zeit, sollten sich klar machen, dass die Zeit zu allen Zeiten gleich lang war:

Das Verbot, du sollst nicht töten, gilt nicht nur für Menschen, auch für die Zeit. Man soll auch die Zeit nicht totschlagen, denn sie ist so kostbar wie das Leben. Und das Verbot, du sollst nicht stehlen, verbietet nicht nur, dass man das Eigentum der Mitmenschen beschädigt oder raubt, es verbietet auch, dass man ihnen die Zeit stiehlt, denn auch die Zeit gehört zum Eigentum. Wenn wir die Zeit totschlagen oder anderen die Zeit stehlen sind wir Mörder, Diebe und Räuber.

Gott hat von der Zeit für jede Zeit gleich viel gemacht. Die vielen, die behaupten, sie hätten keine Zeit, sollten sich klar machen, dass die Zeit zu allen Zeiten gleich lang war: Ein Tag hatte immer vierundzwanzig Stunden, eine Stunde immer sechzig Minuten und eine Minute immer sechzig Sekunden. Einen Zeitmangel gibt es also nicht, eher einen Mangel an Zeiteinteilung, eher das Unvermögen, mit ihr ökonomisch umzugehen. Nichts wäre so beglückend, behauptet Solschenizyn, wie das Gefühl, seine Zeit sinnvoll verbracht zu haben. Und nichts ist so deprimierend, wie das Gefühl, man habe seine Zeit vergeudet. 

Man kann allerdings Tage nicht verlängern, indem man die Nächte kürzt. Wenn die Zeit am Tage knapp geworden ist, sollte man nicht versuchen, sich Zeit von der Nacht zu holen, denn die Nächte brauchen ihre Zeit für sich. In den Nächten muss viel Aufräumarbeit geschehen: Bis zum Morgen sollen die durcheinander geratenen Gedanken und der nervös gewordene Puls wieder zur Ruhe gekommen, und trübe Erinnerungen und aufgestauter Ärger beiseite geräumt sein.


P. Walter Rupp, SJ