Das Ganze

Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.

Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Eine Brücke ist nicht nur eine Konstruktion aus Steinen oder Stahl, sondern auch ein Kunstwerk, das die Überquerung von Flüssen oder Tälern möglich macht. Und Städte sind nicht nur Ansammlungen von Häusern. Das, was eine Stadt zur Stadt macht, ist die Gestalt und Anordnung der Häuser, das sind die Straßen, Gassen, Winkel oder Plätze. Sie geben ihr das mondäne oder mittelalterliche, das romantische oder verträumte Aussehen, und die unverwechselbaren Charakterzüge.  

Diese Feststellung, dass das Ganze immer mehr ist als seine Teile, gilt für alle Werke, ob sie nun technischer oder künstlerischer Art sind: für Fahrzeuge, Maschinen, Zeitungen, Romane oder Symphonien. Ein Computer ist zwar ein aus zahllosen Schrauben, Drähten und Schläuchen bestehendes Gerät, aber es ist zu erstaunlichen Leistungen fähig. Zeitungen sind wohl Organe der Nachrichtenvermittlung, aber sie haben darüber hinaus ein ihnen eigenes Profil. Viele Sätze ergeben noch keinen Roman und viele Töne noch keine Symphonie. Durch das kunstfertige Zusammenfügen, kommt etwas Besonderes, eine neue Qualität hinzu.

Das Ganze gleicht einem Mosaik, das sich aus zahllosen kleinen, bunten Steinen zusammensetzt. Geht man zu nahe heran, nimmt man nur verschieden farbige, aneinander gefügte kleine Steine wahr, ohne den Sinn der Darstellung zu verstehen. Das Ganze erkennt man immer nur aus der Distanz: nämlich dass diese scheinbar ungeordneten kleinen Steine die Gestalt des Weltenrichters oder des Guten Hirten darstellen. 

Die Menschen, die bei einem Bummel durch eine Stadt nur auf Hinterhöfe, Mülltonnen, Schlaglöcher oder mit Parolen beschmierte Häuserwände achten, und die Zeitgenossen, die einen Mitmenschen nur danach beurteilen, wie viel er verdient, wie er sich kleidet, wie er aussieht oder wo er Urlaub macht, schränken mit dieser Betrachtungsweise aus der Nähe ihre Wahrnehmungsfähigkeit ein und sehen statt der Wirklichkeit nur verzerrte Bilder. Man muss zu den Dingen Abstand halten, wenn man den Überblick behalten und das Ganze sehen will. 


P. Walter Rupp, SJ