Gebet

Sollte die Generation von heute - im Unterschied zu den Generationen vorher - vom Gebet wirklich nichts halten?

Im Abendland war es Jahrhunderte hindurch Brauch, dass die Glocken einer Kirche zur Mittags- und zur Abendzeit - wie der Muezzin vom Minarett - jeden zum Gebet aufforderten. Unsere Vorfahren kannten noch in ihrem Tagesablauf den Rhythmus zwischen Arbeit und Gebet, und feste Zeiten, die dem Gebet vorbehalten blieben. Die Menschen unserer Zeit sind dagegen sehr darauf bedacht, alles, was mit Religion zu tun hat, vor der Öffentlichkeit schamhaft zu verbergen, so dass weithin der Verdacht entstanden ist, sie hätten das Beten aufgegeben. 

Sollte die Generation von heute - im Unterschied zu den Generationen vorher - vom Gebet wirklich nichts halten? Gibt es diese Sehnsucht, zu Gott hinaufzurufen, dieses Bemühen, mit ihm in Kontakt zu kommen, nicht mehr? Kennen die Menschen unserer Zeit nur noch das Gespräch von Mensch zu Mensch? Und was ist dann, wenn es in ihrem Umkreis keinen gibt, der sie verstehen kann und anhören will? Dann bleibt nur noch der Monolog. 

Wenn Menschen nicht mehr beten, steht oft nicht der Zweifel, ob Gott existiert im Weg, sondern ein falsches Gottesbild. Denn wer hat schon das Verlangen, über Lichtjahre hinweg mit einem ‘fernen Gott’ zu sprechen, der vielleicht nicht einmal lautes Rufen hört? Wer wagt schon, einen launenhaften ‘Willkürgott’ umzustimmen? Man tut gut daran, sich ihm murrend oder stumm zu beugen. Über die ‘Ursache aller Dinge’ kann man allenfalls wie über einen toten Gegenstand diskutieren. Das ‘geheimnisvolle, unbekannte Wesen’ wird man fürchten, und den ‘Erfinder der Weltenordnung und Naturgesetze’ stumm bewundern. Der Mensch kann nicht zu einem abstrakten Etwas beten. Er muss begriffen haben, dass Gott ein Geistwesen, ein Du ist, das man ansprechen kann. 

Moderne Menschen reden statt vom Gebet, lieber vom Meditieren. Es mag sein, dass das Nachdenken über Gott häufiger ist als das Reden zu ihm. Aber sie bringen damit auch zum Ausdruck, dass sie eine Beziehung zu Gott suchen.


P. Walter Rupp, SJ