Häresien

Eine Häresie ist immer eine verstümmelte, eine entstellte Wahrheit,

Eine Häresie ist immer eine verstümmelte, eine entstellte Wahrheit, und ein Häretiker bricht aus dem Ganzen einer Lehre immer ein Element heraus: Er kennt nur den strafenden Gott und will nicht wissen, dass Gott auch belohnt oder verzeiht. Er weigert sich, die Dinge von den verschiedenen Gesichtspunkten aus zu sehen. 

Doch wie bedenkliche Symptome Häresien auch zeigen, ihre Gefährlichkeit wurde in der Vergangenheit gewöhnlich überschätzt, die Gefährlichkeit jener Traditionalisten aber, die auch nur immer auf irgendwelche Traditionen pochen, unterschätzt.

Während nun die Christenheit mit Häretikern nie zimperlich umging, sie - je nach Bedarf - exkommunizierte, brannte oder in die Folter spannte, ertrug sie die in der „Rechtgläubigkeit Erstarrten“ mit nicht zu überbietender Geduld. Mochten diese auch mehr Gutwilligen den Weg zum Christentum versperren, mehr Gläubige an der Entfaltung ihres religiösen Lebens hindern, mehr Außenstehenden Ärgernis bereiten als sämtliche Häretiker zusammen, man schonte sie. 

Was man beim Namen nennen und als „Gedankenlosigkeit“, „bequemen Trott“, „geistige Verkalkung“, schlicht als „sündhafte Trägheit“, bezeichnen sollte, wird häufig verharmlosend „Traditionsbewusstsein“, „Treue zu den Werten der Vergangenheit“, oder „Abwehr gegen modische Neuerungssucht“ genannt. Mancher versteckt sich aus Wagnisangst und Furcht vor Konflikten hinter Traditionen und bildet sich dabei noch ein, ein Wächter und Beschützer religiöser und kultureller Werte zu sein. 

Es gibt Menschen mit einer weltabgewandten Religiosität, die Religion als Dichtungsmittel gegen die Welt benutzen. Wenn die Guten weiter nichts als gute Menschen sind, wenn sie sich der Bosheit nicht entgegenstellen und auf Einfluss verzichten, kann die Welt nicht besser werden.


P. Walter Rupp, SJ