Erfahrungen

Wie oft hält man eine Erfahrung für positiv und erkennt ihre Schädlichkeit erst, nachdem man sie machen konnte.

Nach Karl Waggerl wären Erfahrungen nur dann von Wert, wenn man sie hätte, ehe man sie machen muss. Ohne Zweifel wäre es von Vorteil, wenn man vorher wüsste, ob eine Erfahrung sich zu machen lohnt. Wie oft hält man eine Erfahrung für positiv und erkennt ihre Schädlichkeit erst, nachdem man sie machen konnte. Und wie oft muss man sich rückblickend eingestehen, dass man eine Erfahrung, die man nie machen wollte, jetzt, nachdem man sie gemacht hat, nicht mehr missen möchte. Mancher lernt durch ein Leid, das ihm widerfuhr, andere Werte schätzen und mancher entdeckt durch einen Misserfolg bei sich neue Fähigkeiten, die ihm bisher verborgen geblieben sind. 

Wäre es bloß so, dass die klugen Menschen – wie Aldous Huxley meint - sich selbst die Erfahrungen aussuchen, die sie zu machen wünschen. Das Aussuchen ist nicht so einfach, weil die meisten Erfahrungen kommen, ohne dass sie gerufen worden sind. Sie folgen zwangsläufig den Entscheidungen, die man - oft gar nicht selbst - getroffen hat. Man muss Erfahrungen oft machen, weil man gezwungen ist, eine Situation zu meistern, der man nicht ausweichen kann. Zum Beispiel: Wenn man einen guten Bekannten oder Freund verliert; wenn trotz der vielen Mühen, die man aufgewendet hat, kein Erfolg eintritt; oder wenn man plötzlich mit einer Krankheit fertig werden muss. 

Erfahrungen sind wie das Wissen unentbehrlich. Wer sich mit den einmal gemachten Erfahrungen zufrieden gibt und sich einbildet, dass er das Leben und die Menschen kennt, bleibt stehen. Er muss sich jederzeit für neue Erfahrungen öffnen. Und wer Erfahrungen wahllos sammelt, wie Souvenirs, in der Meinung, sein Leben werde dadurch reicher, macht sich etwas vor. Denn nicht die Summe der Erfahrungen ist entscheidend, sondern das, was einer daraus lernt.


P. Walter Rupp, SJ